Nach Hundekot-Attacke: Welche Verantwortung tragen Bühnenhäuser?
Die Staatsoper Hannover hat sich von Ballettchef Marco Goecke getrennt. Wie gehen Theater und Opernhäuser zukünftig mit Kritiken um? Ein Kommentar von NDR Kultur Theaterexperte Stefan Forth.
Die Staatsoper Hannover hat sich von ihrem Ballettchef Marco Goecke getrennt. Er hatte am vergangenen Wochenende die Kritikerin Wiebke Hüster öffentlich mit Hundekot attackiert. Nach einem schnellen Hausverbot für Marco Goecke zieht die Intendantin der Staatsoper, Laura Berman, jetzt weitere Konsequenzen: Der Vertrag mit dem Hannoveraner Ballett-Direktor ist mit sofortiger Wirkung aufgelöst. Im gegenseitigen Einvernehmen, wie es heißt.
Nach Attacke: Marco Goecke als Führungskraft untragbar
Es ist schlimm, dass Marco Goecke eine ihm unliebsame Kritikerin mit Hundekot beschmiert hat. Genauso fassungslos macht es, wie der Ex-Ballettchef der Staatsoper Hannover anschließend mit seiner Attacke auf eine Journalistin umgegangen ist: Statt sein Opfer vorbehaltlos um Entschuldigung zu bitten, hat er in den vergangenen Tagen öffentlich Selbstrechtfertigungen verbreitet. Um Verzeihung bittet er, weil ihm angesichts von Wiebke Hüsters Kritiken "der Kragen geplatzt" sei. Ein echtes Schuldeingeständnis klingt anders.
Auch deshalb war es unausweichlich, den Vertrag mit Marco Goecke als Ballettdirektor in Hannover so schnell wie möglich zu beenden. Er hatte sich als Führungskraft in verantwortungsvoller Position untragbar gemacht. Jeder weitere Tag mit ihm an der Spitze des Ensembles hätte dem Ruf der Staatsoper, den Tänzerinnen und Tänzern und dem öffentlichen Blick auf ihre Kunst nur noch mehr geschadet. Deshalb ist es gut, dass Intendantin Laura Berman einen schnellen und effizienten Weg gefunden hat, sich von Marco Goecke zu trennen.
Staatsoper Hannover: Haus muss sich neu sortieren
Das Haus und seine Künstlerinnen und Künstler müssen nach dem Schock der Attacke zur Ruhe kommen, sich neu sortieren. Es spricht auch für die Intendantin, wie entschieden, aber doch einfühlsam und unaufgeregt sie in diesem Skandal auftritt, wie sie versucht, Kunst und Künstler auseinanderzuhalten, den untragbaren Kompaniechef von seinen publikumswirksamen Arbeiten mit der Truppe zu trennen. Völlig richtig auch, dass die Staatsoper Goeckes bisherige Inszenierungen auf dem Spielplan halten will.
Und doch hat es einen unglücklichen Beigeschmack, wenn Intendantin Laura Berman bei der Pressekonferenz zur Vertragsauflösung von einer einzelnen unüberlegten Tat spricht, wenn sie betont, dass sie Marco Goecke eigentlich als eine "extrem verantwortungsvolle Person" kenne, als einen verletzlichen Menschen ohne Aggression. Das mag stimmen. Es lässt sich aber auch als Versuch hören und lesen, die Dimensionen des Falls eingrenzen zu wollen auf einen singulären nervösen Ausraster im Premierenfieber, wenn auch auf einen widerlichen, wie Laura Berman selbst sagt. Tatsächlich geht es aber um weitaus mehr.
Welche Verantwortung haben Bühnenhäuser für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter?
Noch immer gibt es keine befriedigende Antwort auf die Frage, wie es überhaupt zu dieser ekelhaften Eskalation im spannungsvollen Verhältnis zwischen Kritik und Kunst kommen konnte. Einer Eskalation, die nicht weniger ist als ein körperlicher Angriff auf die Presse- und Meinungsfreiheit. Marco Goeckes Wut muss sich über Jahre aufgebaut haben. Es ist lange her, dass Wiebke Hüster seine Choreografien in einem FAZ-Blog "nichtssagende Nullitätentänze" genannt hat, zuletzt hat sie eine seiner Arbeiten als "Blamage" bezeichnet. Zweifellos harte Urteile - aber doch zulässige Meinungen.
Wie gehen Theater und Opernhäuser mit solchen Kritiken um? Wie unterstützen Pressestellen und Intendanzen Künstlerinnen und Künstler, die sich durch öffentliche Meinungsäußerungen angegriffen fühlen? Welche Hilfe bietet der Theaterbetrieb seinen Leuten, wenn sie aufgrund persönlicher oder anderer Umstände unter Druck geraten wie Marco Goecke? Die Auseinandersetzung damit, welche Verantwortung Bühnenhäuser für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben, ist noch lange nicht am Ende. Auch in Hannover scheinen sie darauf bis jetzt noch keine endgültigen Antworten gefunden zu haben.