Porträtfoto von Schauspieler Devid Striesow. © Tobias Schult Photography Foto: Tobias Schult

Devid Striesow: Zwischen Konzertlesung, Kino und Oscars

Stand: 10.03.2023 08:26 Uhr

Am 10. März stand Devid Striesow mit Stefan Weinzierl für eine Konzertlesung von "Die Blechtrommel" auf der Bühne des Schauspielhauses in Hamburg. Auch sonst ist bei ihm aktuell einiges los.

Im Kino läuft gerade die Komödie "Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war". Dort kann man Devid Striesow als Direktor einer psychiatrischen Klinik, als Vater und scheiternden Segler erleben. In der deutschen Oscar-Hoffnung "Im Westen nichts Neues" spielt er den General Friedrich - dafür ließ er sich sogar eine Glatze schneiden. Neunmal ist der Film nominiert. Und im Hamburger Schauspielhaus bringt er mit Stefan Weinzierl "Die Blechtrommel" als Konzertlesung auf die Bühne - ausgewählte Szenen werden hier atmosphärisch untermalt. Warum er außerdem ein großer Klassik-Fan ist, erzählt Striesow im Gespräch.

Sie haben die Szenen aus der "Blechtrommel" schon das ein oder andere Mal mit großen Erfolg aufgeführt. Gibt es ein Ritual, um sich vor der Vorstellung in die Rolle des Oskar Matzerath einzufühlen?

Devid Striesow: Ja, wir haben in unserer Fassung, die wir machen - der Roman ist ja sehr viel umfangreicher - die Geburt, das mit der Suppe und natürlich den Krieg drin. Es gibt eine Szene, da sitzt er auf der Tribüne und schaut durchs Astloch. Um mit dem Schlagzeuger Stefan Weinzierl einen Soundcheck zu machen und sich auch ein bisschen wieder zu begegnen auf der Bühne nach so langer Zeit, werden wir immer diese eine Szene auf der Tribüne spielen, vor leerem Raum, bevor das Publikum kommt.

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Es ist eine Konzertlesung, ein Duet für Schlagzeug und Stimme. Wer gibt da wem den Einsatz?

Striesow: Das ist eine ganz klare Partitur. Der Schlagzeuger mit seinen ganzen Instrumenten, die er da bedient: Marimbaphon, Vibraphon, große Pauke, Snare, alles, worauf man so rumhauen und worauf man Musik machen kann, hat er dabei. Das ist eine ganz klare Partitur, wann die Einsätze von ihm sind, was er da in Loops gibt, wann ich dann wieder mit der Stimme einsetze, sodass das eine ganz runde Sache wird.

Wie schwierig ist es, so einen Roman als Einzelperson darzustellen?

Striesow: Es ist ja immer diese Erzählerstimme, die Matzerath-Stimme, die Ich-Stimme und die dritte Person. Das ist aber so genial, so haptisch und so szenisch geschrieben, dass man eigentlich automatisch als Sprecher diese Perspektiven wechselt und sich da sozusagen im Freiflug mit der Figur bewegen kann. Es gibt eine kleine Geschichte zu unserem Abend, wie wir zueinandergekommen sind. Stefan Weinzierl hat diese wunderbare Strichfassung gemacht und hatte das mit einer anderen Besetzung vorher schon mal auf die Bühne gebracht. Dann trat er an mich ran, wollte mich als Besetzung haben. Ich war auch begeistert.

Wir hatten uns aber erst einmal gesehen, und ich hatte am Tag darauf Vorstellung, "Ivanov" am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg - eine Nachmittags-Aufführung. Es regnete draußen, 16 Uhr war angesetzt. Ein Kollege wurde krank, so fragte man an, ob wir vielleicht unsere Lesung bringen könnten. Da sind wir zur ersten Probe, zur Generalprobe und zur Premiere am selben Nachmittag auf die Bühne gegangen, haben das so prima vista gespielt. Wir hatten auch noch 900 Leute im Raum, die sind nicht gegangen, die sind beim Schietwetter in Hamburg sitzen geblieben. Glücklicherweise. Wir hatten eine rauschende Premiere, ein rauschendes Fest.

Aktuell sind Sie gerade im Kino zu sehen, in der Joachim-Meyerhoff-Verfilmung "Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war" und natürlich in der deutschen Oscar-Hoffnungen "Im Westen nichts Neues". Wie verfolgen Sie die Verleihung am Wochenende mit den neun Nominierungen?

Striesow: Ich werde etwas machen, was ich bisher immer ein bisschen belächelt habe, wenn sich die Kollegen nachts von Fernseher gesetzt haben, weil sie es nicht aushalten konnten. Ich werde mich dieses Mal tatsächlich vor den Fernseher setzen und werde das live verfolgen. Als es zu diesen Oscar-Nominierungen gekommen ist, war das ein Luftsprung. Das war eine unglaubliche Freude, dass dieser Film solche Aufmerksamkeit bekommt. Als es dann mit den Baftas schon siebenmal geklappt hatte, da war gar kein Halten mehr. Jetzt sind die Daumen natürlich gedrückt: Toi toi toi. Ich klopfe dreimal auf Holz, dass wir es nicht verschreien und unken, aber ich bin echt sehr, sehr gespannt.

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Es ist ja vor allem faszinierend, dass er als bester Film nominierte ist und nicht nur international.

Striesow: Das ist historisch. Das kann ich wirklich so sagen.

Besteht ein bisschen die Gefahr, dass man so oft nominiert ist, dass man vielleicht über zwei oder drei Preise sogar fast enttäuscht wäre?

Striesow: Das ist ein guter Ansatz: gar nicht so die Erwartungen nach oben schrauben. Ich glaube aber, jeder Preis, der nach Hause kommt, ist einfach großartig, egal für welche Kategorie.

Man hat es ja schon oft gehört und man sieht es auch im Film, dass die Dreharbeiten offensichtlich sehr anstrengend gewesen sind. Haben Sie es auch so empfunden?

Striesow: Ich habe mit meiner Rolle General Friedrich insofern Glück, wenn man von Glück sprechen kann, dass ich in Schlössern gedreht habe. Ich habe zwar auch nachts drehen müssen, aber wir hatten ziemlich trockene, ganz moderate Sets für den General. Der war ja nicht im Schlamm. Aber alles, was der Film erzählt und was der herzeigt, lässt auf eine ziemlich anstrengende Drehzeit schließen.

Wie schätzt man so eine Rolle im Vorfeld ein, wenn man weiß: Ich bin dafür vorgesehen.

Striesow: Der Edward Berger rief mich an - wir hatten vorher schon drei Projekte zusammen gedreht - und er rief mich an und fragte, ob ich Lust hätte, diese Figur zu spielen. Es ist ja nun mal eine ziemlich klare Figur. Das ist kein Sympathieträger. Er ist derjenige, der die jungen Soldaten nochmal viertel vor zwölf in die Schlacht schickt - ganz bewusst in das Verderben und in den Tod. Das hat mich aber gereizt, weil mich ein Militarist immer mal gereizt hat, der die Genetik von mehreren Generationen Kriegstreibern in den Knochen hat. Militär ist so etwas ganz Eigenes. Mir fiel dann ganz spontan ein, dass man das optisch irgendwie krass zeigen muss. So kam das mit der Glatze. Diese Idee habe ich dann in den Topf geworfen und Eddie war gleich begeistert. Das funktioniert wunderbar. Wenn ich das jetzt sehe, das sieht toll aus.

Sie sind auch großer Klassik-Freund, Klassik-Liebhaber, auch Klassik-Vermittler in dem faszinierenden Podcast "Klassik drastisch". Man sagt immer wieder "ernste Musik" - das ist schon überholt, oder?

Striesow: Absolut. Bernstein war es, der davon sprach, dass es nur gute und schlechte Musik gebe. Es ist so, dass wir in diesem Podcast versuchen, junge Leute, auch Leute, die wenig Begegnungen mit Klassik hatten, dazu zu bringen, Klassik zu hören. Wir spielen uns gegenseitig immer ein Werk und einen Komponisten vor und untermalen das mit Geschichten und mit der Biografie des Komponisten. Und das möglichst auf einem hohen emotionalen Level. Das hat viele Leute bisher schon sehr begeistert, die da mitgehen und die sagen, das ist ein tolles Format - das hat uns Klassik vermittelt.

Klassik wirkt besser, wenn man ein bisschen was darüber weiß. Manche Leute sagen: Im Wald weiß ich ja auch nicht, wie jeder Baum heißt, aber ich genieße trotzdem den Wald. Es geht beides?

Striesow: Ich finde, ja. Man kann auch ganz unbedarft Klassik hören. Ich finde, dass Klassik - zumindest ist es bei mir so - ganz tief in der Seele Emotionen aufrührt und anrührt, die mich auch zu ganz unvorhersehbaren Reaktionen verleiten. Ich habe mal in der Laeiszhalle das Verdi-Requiem gehört und musste heulen, einfach ganz spontan losflennen. Und das passiert am ehesten mit klassischer Musik.

Das Gespräch führte Philipp Schmid.

Preise und Auszeichnungen für Devid Striesow



  • 2018: Nominierung Österreichischer Filmpreis. Bester männlicher Darsteller: "Licht"
  • 2017: Bayerischer Fernsehpreis. Bester Schauspieler: "Das weiße Kaninchen" und "Katharina Luther"
  • 2016: Bambi. Bester Schauspieler national: "Ich bin dann mal weg"
  • 2016: Nominierung ROMY. Beliebtester Schauspieler Kino: "Ich bin dann mal weg"
  • 2016: Jupiter Award. Bester Darsteller National: "Ich bin dann mal weg"
  • 2015: Friedrich-Luft- Preis. Beste Berliner und Potsdamer Aufführung des Jahres 2014: "Karamasow"
  • 2015: Deutscher Schauspielerpreis. Bester Schauspieler: "Wir sind jung. Wir sind stark"
  • 2014: Günter Rohrbach Filmpreis. Darstellerpreis: "Zeit der Kannibalen"
  • 2013: Grimme-Preis. Publikumspreis: "Blaubeerblau"
  • 2012: Grimme-Preis: "Ein guter Sommer"
  • 2011: Preis der Deutschen Filmkritik. Bester männlicher Darsteller: "Drei"
  • 2010: Nominierung Deutscher Filmpreis. Bester Darsteller: "So glücklich war ich noch nie"
  • 2008: Nominierung Deutscher Fernsehpreis. Bester Darsteller: "12 heißt: Ich liebe Dich"
  • 2008: Academy Award- Oscar. Bester fremdsprachiger Film: "Die Fälscher"
  • 2008: Preis der deutschen Filmkritik: "Yella"
  • 2007: "Deutscher Filmpreis. Bester Nebendarsteller: "Die Fälscher"
  • 2006: Hessischer Filmpreis: "Montag kommen die Fenster"
  • 2004: Alfred- Kerr-Darstellerpreis. 41. Theatertreffen Berlin: als "Wlas" in "Sommergäste"
  • 2004: Theater heute. Bester Nachwuchsschauspieler
  • 2003: Preis der deutschen Filmkritik. Bester Schauspieler: "Lichter"
  • 2002: Nominierung Bundesfilmpreis. Bester Nebendarsteller: "Lichter"

 

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Klassisch in den Tag | 10.03.2023 | 07:20 Uhr

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