Roman "Akikos stilles Glück": Die Schmerzen großer Einsamkeit
Mit viel Einfühlungsvermögen hat Jan-Philipp Sendker herausgearbeitet, wie anstrengend Einsamkeit sein kann. "Akikos stilles Glück" ist ein erstaunlicher und nachdenklich machender Roman.
In seinem neuen Roman führt Jan Philipp Sendker uns nach Tokio und entfaltet das Leben einer jungen Frau, die nach dem Tod ihrer Mutter eine verstörende Entdeckung macht. Sie findet in Unterlagen aus dem Nachlass der Mutter Hinweise, dass der Mann, den sie für ihren Vater gehalten hat, in keiner Weise mit ihr verwandt war.
Als Kind wurde er ihr präsentiert als der geschiedene Mann ihrer Mutter, den sie als Kind alle zwei Wochen treffen durfte, um ein paar gemeinsame Stunden mit ihm zu verbringen. Dieser Mann war damals über eine Agentur von der Mutter gemietet worden. Akiko ist fassungslos. Sie erinnert sich an die etwas steifen, seltsam kühl wirkenden Treffen mit diesem Mann, der für ein Stundenhonorar den Vater spielte. Er hatte stets kleine Geschenke für das Kind dabei, die er später korrekt abrechnete.
Wir machten Bilder von uns in einem Fotoautomaten. Der Streifen mit den vier Fotos hatte lange neben meinem Bett an der Wand geklebt. Er fragte nach meinen Freundinnen und wie es mir in der Schule ging. Ich zeigte ihm meine Zeugnisse. Und meine Zuneigung. Er war der Einzige, dem gegenüber ich andeutete, wie sehr ich unter der Schule litt. Er war der Einzige, der eine Ahnung davon hätte haben können, wie es mir ging. Wenn es ihn interessiert hätte. Er war kein zärtlicher Vater gewesen. Aber ein liebevoller. Er war nur gemietet gewesen. Vier Stunden. Alle zwei Wochen. Gemietet. Wie ein Auto. Leseprobe
Erneut im Stich gelassen
Akiko setzt alle Energie daran, herauszufinden, wer dieser Mann war, der dann, als sie in die Pubertät kam, auch wieder lautlos aus ihrem Leben verschwunden war. Sie schafft es tatsächlich mit viel Energie und Mühe, ihn ausfindig zu machen und verabredet sich mit ihm in einem Lokal. Sie erfährt, dass er im Laufe seines Lebens für mehrere hundert Kinder den geschiedenen Vater gespielt hat. Er nutzt dann Akikos Besuch im Waschraum, um ohne weitere Erklärung wieder zu gehen. Er hat ihr einen kleinen Brief hingelegt:
Alles war bezahlt - nichts war gespielt. Versuchen Sie, Ihrer Mutter zu verzeihen. Sie wollte nur das Beste für Sie. Nicht immer erreichen wir unsere Ziele (…) Ich wünsche Ihnen alles Gute. (…) Leseprobe
Akiko fühlt sich ein weiteres Mal verraten.
Du lässt mich ein zweites Mal allein. Lange hielt ich den Zettel in der Hand und starrte auf die Zeilen. (…) Selbst von meiner Wut spürte ich nicht mehr viel. Sie war einer tiefen Trauer und endlosen Erschöpfung gewichen. Zu viel. Alles war zu viel. Vor allem war ich mir selbst zu viel. Ich und meine Geschichte, von der ich nicht wusste, wann und wo sie begann. Leseprobe
"Akikos stilles Glück": Ein Roman, der nachdenklich macht
Jan-Philipp Sendker erzählt einerseits von einer Kultur und einer Welt, die uns in Europa fremd erscheint. Andererseits ist es ein Roman über die weltweit gleiche Sehnsucht nach Liebe und die Schmerzen großer Einsamkeit.
Mit viel Einfühlungsvermögen hat er herausgearbeitet, wie neben allen anderen Merkmalen schlicht anstrengend Einsamkeit sein kann. Zum Schluss wird seine Hauptfigur Akiko ihre Kräfte bündeln und sich einem anderen Menschen öffnen. Das ist jenes "stille Glück", das der Titel des Romans verspricht. Ein erstaunlicher und nachdenklich machender Roman, der mit großer Ruhe, ganz eigener Würde und Gelassenheit geschrieben ist.
Akikos stilles Glück
- Seitenzahl:
- 384 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Blessing
- Bestellnummer:
- 978-3-89667-629-0
- Preis:
- 24 €