Cover: Sadie Jones, „Aufs Land“ © Penguin
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AUDIO: "Aufs Land": Humorvolle Reise in die Kindheit (5 Min)

"Aufs Land": Humorvolle Reise in die Kindheit

Stand: 01.07.2024 13:36 Uhr

Der neue Roman von Sadie Jones handelt vom Leben auf dem Land - erzählt aus der Perspektive zwei kleiner Mädchen. Aber ohne Kitsch und Klischees, sondern humorvoll und nahbar.

von Peter Helling

Ein knisterndes Feuer an Halloween, nasse Füße in Gummistiefeln, ein kaputter Herd, Mamas Nudelsalat, und zwei Männer spielen "Take me home, country roads". So rustikal-idyllisch beginnt Sadie Jones' Roman "Aufs Land". Es ist ein uraltes Sujet, "aufs Land" zu flüchten - noch dazu aufs englische. Eine Stadtflucht, hinein in die paradiesische Einsamkeit zwischen Wiesen, Cottages und verwunschenen Dörfern. Dazu gibt’s frisch gebrühten Tee zum Sound von Oasis. Klingt schrecklich oberflächlich. Sadie Jones aber beschreibt diese Welt aus Kinderaugen.

Der Hof draußen ist Schlammsuppe. Der Himmel spiegelt sich darin wie in einem See. Wenn der Boden sich in eine riesige Pfütze verwandelt, können wir Kinder auf dem Popo rüberflitschen, bis alles voller Furchen ist. Leseprobe

Ganz nah dran am Leben auf dem Land

Amy und Lan sind Freunde, sieben Jahre alt: Ihre Eltern und ein befreundetes Ehepaar haben ihr Leben in London gegen einen Bauernhof im Westen Englands getauscht: Frith heißt der fiktive Ort, das Jahr: 2005. Jedes Kapitel ist mit "Lan" oder "Amy" überschrieben, immer im Wechsel. Jeweils aus der Ich-Perspektive eines der Kinder erzählt.

Ihr nüchtern-staunender Blick rettet den Roman vor dem Landliebe- und Wachsjacken-Klischee. Er wird zur Geschichte über den Mikrokosmos Leben. 2010 enden die Berichte der Kinder, endet auch der Roman. Passiert ist bis dahin nichts vordergründig Dramatisches. Sondern Kindheit, Hofalltag. Da wird etwa ein Kälbchen geboren, und man spürt die Anspannung der Hofgemeinschaft, ist hautnah dabei.

Lan: Wir hören ein Glitschen und ein Rascheln und einen Plumps. Es riecht nass, so nass wie sonst nichts, nasser als Blut, ganz anders als Wasser. Leseprobe

Etwas liegt in der Luft und bedroht das Land-Idyll

Die beiden wundern sich über die Macken ihrer Eltern. Amys Vater ist ein erfolgloser Schauspieler, ihre Mutter gibt Klavierunterricht, Lans Vater ist Schreiner und die gute Seele des Alternativ-Hofs, die Mutter eine esoterische Bachblüten-Fanatikerin, mit einem Neugeborenen im Arm. Glück und Unglück sind nur eine Handbreit voneinander entfernt.

Amy: Die Erwachsenen merken nicht mal, wie ich und Lan den Lada klauen. Ich kann nur im ersten Gang fahren, aber das ist nicht schlimm, wenn ich langsam mache. Leseprobe

Trotzdem registrieren sie kleinste Risse im Gefüge der Erwachsenen. Da lauert etwas anderes, was sie noch nicht begreifen, Begehren, Zynismus, Eifersucht. Untergründig, ganz langsam, bahnt sich eine Beziehung zwischen Amys Vater und Lans Mutter an, was die Gemeinschaft auseinander reißen wird.

Amy: Ich habe nie ein Wort über Papa und Gail verloren. Kein einziges. Nicht mal mir selbst gegenüber. Jetzt ist das mit den beiden überall, und alles ist kaputt. Leseprobe

Erleben durch die Augen der Kinder

Die Kinderperspektive ist humorvoll, ohne jeden Kitsch, so dass man mitgeht, aufs Feld zur Heuernte mit der Sense. Oder, als sich der Hof für Bed & Breakfast-Gäste öffnet, mitten hinein in eine Beinahe-Katastrophe mit blasierten Londonern. Da erstickt deren Angeber-Sohn fast zwischen den Heuballen.

Man kann nicht aufhören zu lesen. Die Sprache ist einfach und genau, Gegenstände bekommen eine eigene rohe Poesie. Das Leben als Kind vergeht langsamer, alles ist groß, sensationell, katastrophal. Amy und Lan erleben ihre Freundschaft als selbstverständlich, bis zu dem Punkt, wo sie endet. Das Buch fängt diese Phase vor der Pubertät ein, vor dem sexuellen Erwachen, vor dem Verlust. Es ist die Phase, die am verwundbarsten ist, die man als Erwachsener besonders schnell vergisst. Man ist schon jemand, aber noch nicht ganz. "Aufs Land" ist eine Reise in die Kindheit und aus ihr zurück.

Lan: Irgendwann zerfasert die Geschichte in immer kleinere und kleinere Erinnerungen. Ein Ende gibt es nicht, weil es die Geschichte ist, wie wir nach Frith gekommen sind. Und wir gehen hier nie, nie wieder weg. Leseprobe

Aufs Land

von Sadie  Jones
Seitenzahl:
321 Seiten
Genre:
Roman
Zusatzinfo:
übersetzt von Katrin Segerer
Verlag:
Penguin Verlag
Bestellnummer:
978-3-328-60330-6
Preis:
22 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Der Morgen | 01.07.2024 | 12:40 Uhr

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