Ozan Zakariya Keskinkılıç: Muslimisch, queer, selbstbewusst
Junge, diverse Autor*innen zu fördern, das hat sich die Stiftung Niedersachsen mit ihrem Stipendium "SchreibZeit" vorgenommen. In Göttingen präsentierten die Stipendiaten nun ihre Kunst, beim Festival "an/grenzen". Mit dabei: der Berliner Autor und Dichter Ozan Zakariya Keskinkılıç. Ein Porträt.
Ozan Zakariya Keskinkılıç passt in keine Schublade. Er ist Lyriker, Sachbuchautor, Politikwissenschaftler und bezeichnete sich selbst auch schon mal als "hauptberuflichen Integrationsverweigerer". Außerdem ist er Familienvater, praktizierender Muslim und queer. Erwähnenswert ist sein Privatleben deshalb, weil es zu Keskinkılıçs Wirken gehört, die vermeintliche Unvereinbarkeit seiner verschiedenen Lebensrealitäten zu dekonstruieren.
Keskinkılıç schreibt über queeres Begehren und muslimische Spiritualität
In seinem Lyrikdebüt “Prinzenbad”, das 2022 im ELIF Verlag erschien, geht es um queere Sehnsucht und queeres Begehren vor dem Hintergrund muslimischer Spiritualität. Der Band verdankt seinen Namen einem öffentlichen Freibad in Berlin-Kreuzberg, einem auch unter migrantischen und muslimischen Jugendlichen beliebten Schwimmbad, das medial als bedrohlicher Ort inszeniert wird. Ozan Zakariya Keskinkılıç schreibt ihn als Ort queerer Sehnsucht und Liebe um. Er arbeitet mit religiösen Bildern und Referenzen, flicht bisweilen türkische und arabische Wörter mit ein, arbeitet mit Klischees, die er auf unerwartete Weise wieder bricht. Eine Art poetischer Widerstand gegen Zuschreibungen und Vorurteile.
Das künstlerische Schaffen migrantischer Personen werde häufig in erster Linie im Zusamenhang mit ihrer Migrationsgeschichte rezipiert, sagt Keskinkılıç im Gespräch mit NDR Kultur. So werde das gesamte künstlerische Schaffen einer Person auf deren Migrationserfahrung verkürzt und andere Erfahrungen ausgeblendet. Queeres Schreiben sei ihm deshalb so wichtig, weil die queere Perspektive und die migrantische Perspektive meist nicht zusammen gedacht werden.
"Queer Dschihad": Eine Aufforderung, Allianzen zu bilden
2021 erschien Keskinkılıçs Sachbuch "Muslimaniac: Die Karriere eines Feindbildes". In dem Kapitel "Queer Dschihad" beschreibt er, welche Rolle Sexualität im antimuslimischen Rassismus spielt. Der Islam sei queerfeindlich und homophob, vermittelt schließlich der gängige Diskurs - dadurch werden aber die Erfahrungen queerer Muslim:innen, die selbstverständlich keine seltene Ausnahme sind, systematisch unsichtbar gemacht, so Keskinkılıç. Sein “Queer Dschihad” ist als Aufforderung gemeint, unterschiedliche Diskriminierungserfahrungen zusammen zu denken. Statt sich gegeneinander ausspielen zu lassen, sollten von Rassismus und Queerfeindlichkeit betroffene Menschen lieber Allianzen bilden, so sein Vorschlag.
Die Lyrik ziehe sich immer wie ein roter Faden durch sein wissenschaftliches Schreiben, während seine wissenschaftliche Arbeit als Rassismusforscher immer auch sein lyrisches Schreiben beeinflusse, sagt Keskinkılıç. Deutlich wird das in "flying while muslim", dem ersten, sich über mehrere Seiten erstreckenden Gedicht in "Prinzenbad": In lässig dahinfließender, mal nachdenklicher, mal kämpferisch-ironischer Sprache setzt er sich mit dem Misstrauen auseinander, das Muslimen im Alltag und insbesondere auf Reisen oft entgegenschlägt: "ich bin köln silvesternacht, nafri im passpelz alimentierter messermänner und sonstige taugenichtse", heißt es an einer Stelle. In knappen Worten lässt Keskinkılıç so die Debatte um männliche Geflüchtete nach den Ereignissen der Silvesternacht von 2015 aufblitzen, er bedient sich bei umstrittenen Begriffen aus dem Polizeidiskurs und zitiert die AfD-Vorsitzende Alice Weidel.
Spott und Anfeindungen wegen seiner Religion
Keskinkılıç wurde 1989 als Sohn türkischer Einwanderer geboren und wuchs in einem kleinen Dorf in Südhessen auf. Nach dem Abitur begann er ein Psychologie-Studium, wechselte jedoch bald das Fach und studierte in Wien Internationale Entwicklung und Internationale Beziehungen mit Fokus auf kritischer Rassismusforschung und postkolonialer Theorie. Heute lebt Keskinkılıç in Berlin, wo er an verschiedenen Hochschulen zu Rassismus, Antisemitismus und Orientalismus lehrt und forscht. 2021 wurde er als Mitglied der Expert:innenkommission gegen antimuslimischen Rassismus in Berlin berufen.
Wie sein so genannter "Migrationshintergrund" und vor allem auch seine Religionszugehörigkeit seine Kindheit und Schulzeit prägten beschreibt er in "Muslimaniac" in dem Kapitel "Die Verwandlung zum islamischen Schreckgespenst“. Immer wieder, so erinnert der Autor sich darin, habe er sich vor Lehrer:innen und Mitschüler:innen für seinen Glauben rechtfertigen und Spott und Anfeindungen in Bezug auf seine Religion erleben müssen. Lange habe er versucht, sein Anderssein zu verstecken, sein Aussehen und sein Verhalten an die Ideale der Mehrheitsgesellschaft anzupassen, beschreibt der Autor. Einen selbstbewussten Umgang mit seinem Glauben zu finden, habe lange gedauert.
Keskinkılıç kam erst über den Glauben zur Literatur
Heute sieht Keskinkılıç seine Religion als eine der wichtigste Quelle seines literarischen Schaffens. Erst über das Spirituelle, über den islamischen Glauben sei er zur Literatur und zur Poesie gekommen, sagt er im NDR-Gespräch. Lange Zeit habe er gedacht, dass er Literatur und Lyrik erst in der Schulzeit kennengelernt habe, bis ihm viel später klargeworden sei, dass die ersten Gedichte, die er als Kind hörte, im Prinzip die Rezitationen koranischer Verse in seiner Familie gewesen waren. Für ihn ein Schatz, aus dem er sich bis heute bedient. Zu seinen wichtigsten Inspirationsquellen zählt aber auch das Werk Aras Örens - einem in der Türkei geborenen Schrifsteller, der Anfang der 1970er Jahre als erster Dichter die Perspektive der so genannten "Gastarbeiter:innen" in die deutsche Literatur brachte.
Nominiert für den Brentano-Preis
In diesem Jahr ist Keskinkılıç, der sein erstes Gedicht 2018 in der Anthologie "Haymatlos" veröffentlichte, für den Heidelberger Clemens-Brentano-Preis und den Dresdner Lyrikpreis nominiert. Seine Lyrik wurde schon in Ausstellungen präsentiert, er performt seine Gedichte regelmäßig im Zusammenspiel mit anderen Künstler:innen, wie zuletzt beim Festival "an/grenzen" in Göttingen, wo er gemeinsam mit dem Komponisten und Klangkünstler Fabian Saul eine Soundperformance entwickelte. Und er schreibt literarische Hörstücke fürs Radio, unter anderem für Deutschlandfunk Kultur. Geplant habe er das alles nicht, aber er sei neugierig zu sehen, wie es auf dieser lyrischen Reise für ihn weitergehen werde, so Keskinkılıç.
Dass er gleichzeitig auch immer noch Wissenschaftler sei und dies auch bleiben wolle, mache die Sache bisweilen kompliziert, so der Autor. Denn er bewege sich ständig zwischen Disziplinen und Institutionen hin und her, die zumindest im deutschsprachigen Raum strikt voneinander getrennt seien. In beiden Bereichen gleichermaßen Anerkennung zu finden, sei nicht leicht, aber er arbeite daran.
Am 8.Juni performt Ozan Zakariya Keskinkılıç zusammen mit Fabian Saul auf dem Berliner Poesiefestival das lyrische Hörstück, mit dem er und Saul auch in Göttingen auf dem an|grenzen Festival aufgetreten sind.