"an/grenzen!": Festival in Göttingen bricht Lyrik-Grenzen auf
Vier der besten deutschen Nachwuchs-Dichter zeigen in Göttingen, was die moderne Lyrik alles zu bieten hat. Dazu gibt es musikalische Performances, Gebärdenlyrik oder Virtual Reality-Gedichte.
Mit einer Melange aus Gedicht, Sound und Musik zeigt Ozan Zakariya Keskinkılıç, was zeitgenössische Lyrik alles sein kann: "Ich glaube, sehr viele haben, wenn sie an Lyrik denken, ganz verstaubtes Verständnis darüber. Das hat sicherlich viel mit dem Deutschunterricht zu tun, der nicht so große Lust auf Lyrik geweckt hat. Aber die zeitgenössische Lyrik ist tatsächlich viel breiter aufgestellt, als das in der Gesellschaft wahrgenommen wird."
Die zeitgenössische Lyrik in all ihren Facetten zeigen, darum geht es beim Lyrikspektakel "Angrenzen" im Literarischen Zentrum in Göttingen. Und die Soundperformance von Keskinkılıç in Zusammenarbeit mit dem Klangkünstler Fabian Saul ist eben eine der Formen, welche die Lyrik des 21. Jahrhunderts annehmen kann, wie Keskinkılıç erklärt: "Das Besondere an der Lyrik als Medium ist eben, dass es eine Möglichkeit gibt, sie zusammen zu denken, mit vielen weiteren Disziplinen und Künsten. Es ist sozusagen eine Art lyrisches Hörstück, was wir geschaffen haben, und ich glaube, dadurch wird der Öffentlichkeit auch noch mal deutlich, was Lyrik alles sein kann und was Lyrik möglich macht."
Katia Sophia Ditzler: Text und Lyrik räumlich erfahrbar machen
Eine weitere Möglichkeit, welche die moderne Lyrik bietet, zeigt Katia Sophia Ditzler. Sie macht Gedichte begehbar - und zwar in virtueller Realität. In ihren Werken zeigt sie ihre Texte in einer dazu passenden, virtuellen und abstrakten Welt. Das klingt für manch Einen eher nach Science Fiction - Lyrik über eine Virtual Reality Brille zu erleben. Doch für Ditzler ist es eine Möglichkeit, ihre Kunst noch persönlicher und für den Betrachter nahbarer zu machen.
"Für mich ist es immer wichtig zu schauen, wie kann man damit halt Text auch anders erfahrbar machen", findet die Autorin. "Deswegen finde ich zum Beispiel Virtual Reality und Augmented Reality total spannend, weil man damit ja Lyrik einen Raum geben kann, dass man da wirklich auch reingehen kann und dass man damit auch Text und Lyrik wirklich ja räumlich erfahrbar werden."
Mitfühlen und Verstehen im Fokus
Vier der berühmtesten Lyrik-Newcomer Deutschlands zeigen hier ihre ganz eigene Interpretation der Kunst des Dichtens, so wie Giorgio Ferretti und Inana Othman. Bei ihnen geht es auch viel um ihre Einwanderungsgeschichte. Es geht über das Ankommen in einer neuen Kultur, das Erlernen einer neuen Sprache und die Eigenheiten des Alltags in unserem Land.
Nicht nur das Verstehen liegt im Fokus, sondern es geht auch viel ums Mitfühlen, wie Gesa Husemann, Leiterin des Literarischen Zentrums erzählt: "Wir erleben hier Sprachperformance-Kunst, die uns an vielen Ecken und Enden irritiert und uns so zum Nachdenken anregt und so irgendwie die Welt noch mal ein bisschen anders veranschaulicht."
Lyrik greifbarer und individueller machen
Durch die zeitgenössischen Formen der Lyrik soll sie auch greifbarer und individueller werden, findet Husemann: "Vor ungefähr 80 bis 100 Jahren sah das tatsächlich in Teilen noch anders aus, und da gab es diese klassische Wasserglas-Lyrik-Lesung. Da musste man ganz leise sein, und dann musste man ganz bedacht sprechen und dann kam da Kunst heraus. Wir machen das jetzt ein bisschen anders und brechen das auf und es kommt auch Kunst dabei heraus."