David Hewsons Roman "Garten der Engel": Thriller gegen das Vergessen
"Garten der Engel" von David Hewson spielt im Venedig des zu Ende gehenden Faschismus. Ein Roman, der auf den ersten Seiten verhalten anfängt, dann aber Fahrt aufnimmt und einen nicht mehr loslässt.
Die Idee kam David Hewson bei einem seiner Venedig-Besuche. Als der Schriftsteller mit einem der Vaporetti, den venezianischen Wasserbussen, zum Biennale-Gelände fuhr. "Ich bin hier an der Giardini-Haltestelle vom Schiff gegangen", erzählt Hewson und deutet auf ein Denkmal in Form eines zu Boden gestreckten Frauenkörpers: "Da liegt diese Statue im Wasser. Sie ist häufig von Seetang bedeckt. Und mir fiel auf, dass der Name dieser Promenade 'Ufer der Partisanen' ist."
Ende des Zweiten Weltkriegs: Venedigs düstere Zeit
Für den erfolgreichen Autor, dessen Krimis Vorlage unter anderem für die Fernsehserie "The Killing" sind, war es der Anstoß für seinen Roman über Venedig. Genauer gesagt, über einen düsteren Teil der jüngeren Geschichte der Lagunenstadt, an den außer dem Denkmal im Wasser und zwei Straßennamen wenig erinnert.
Hewson erzählt in "Garten der Engel" das fiktive Leben des Seidenwebers Paolo Uccello. Es geht um dessen Jugendzeit, um dramatische Wochen im Venedig Ende des Zweiten Weltkriegs, um deutsche Besatzer, die mit Unterstützung einheimischer Faschisten die Judendeportation organisieren und italienische Partisanen, die Widerstand leisten.
Der alte Seidenweber liegt im Krankenhaus im Sterben und übergibt seine aufgezeichneten Erinnerungen nach und nach seinem Enkel Nico. Beim Schreiben des Buches, erläutert Hewson, sei ihm wichtig gewesen, dass der 15 Jahre alte Nico schrittweise beginnt, zu verstehen, "dass Geschichte wichtig ist, dass wir von der Vergangenheit geformt werden".
Ein Familienroman, der zum Thriller wird
Hewson hat "Garten der Engel" als Familienroman konzipiert - der zum Thriller wird. Ein Roman, der auf den ersten Seiten verhalten anfängt, dann aber Fahrt aufnimmt und einen nicht mehr loslässt. Mit der Geschichte der Partisanin Mika, des Kollaborateurs Luca Alberti und des jüdischen Arztes Dr. Diamante. Letztere Figur ist inspiriert durch den realen Leidensweg des venezianischen Arztes Giuseppe Jona.
Bei einem gemeinsamen Spaziergang durch Venedig zu den Schauplätzen seines Romans erläutert Hewson, Jona sei der Grund gewesen, warum er den Seidenweber Uccello seine Lebensgeschichte im real existierenden Krankenhaus San Giovanni e Paolo erzählen lässt. "Jona hat als Chirurg dieses Krankenhaus geleitet", erklärt Hewson. Weil Jona Jude war, sei er dort rausgeworfen und zum Verantwortlichen der jüdischen Gemeinde gemacht worden. Die Nazis, erzählt der Autor, hätten dem ehemaligen Arzt den Auftrag erteilt: "Du musst eine Liste erstellen mit jedem Juden in Venedig." Eine Liste, die den Nazis als Grundlage für die Deportationen in Vernichtungslager dienen sollte.
Im Roman nimmt Dr. Diamante - wie sein historisches Vorbild Jona - diese Aufgabe, faktisch eine Todesliste zu erstellen, zum Schein an. Während zeitgleich Partisanen einen Anschlag planen. Und der Seidenweber Paolo Uccello versucht, erwachsen zu werden. Das alles spielt sich ab Ende 1943 in der speziellen Atmosphäre Venedigs, jener Zeit, die geprägt ist von einer Mischung aus Nazi-Terror und Widerstand, aus Unterdrückung, aber auch ausschweifendem Leben.
Hewson sagt, er habe Venedig als Schauplatz gewählt, "weil diese Geschichte so nirgendwo anders hätte passieren können". Die Alliierten hätten sich damals entschlossen, Venedig nicht zu bombardieren, "weil es zu wertvoll" und nicht von strategischer Bedeutung war. Unter anderem deswegen konnte Venedig in jenen Jahren "mit seinen Kasinos und Bordellen für die Nazis und Faschisten eine Art "Ferienressort" werden, um den Schrecken des Krieges zu entkommen. Vollständig aber habe das nicht gelingen können, so Hewson, "weil hier auch Partisanen aktiv waren".
"Garten der Engel": Packender Roman gegen das Vergessen
In diese Zeit platziert Hewson die Lebensgeschichte Paolo Uccellos, mit einer am Schluss atemberaubenden Wende - und immer neuen Facetten, wenn alles schon auserzählt scheint. Es ist eine Geschichte über Verbrechen und Angst, aber auch über Hoffnung und Liebe, über Brutalität und Egoismus, genauso wie über Anstand und Moral. Eine Erzählung gegen das Vergessen, in einem Roman, der packt und aufwühlt.
Der Brite Hewson, der sich selbst als Europäer bezeichnet, sagt, auch die Erfahrungen rund um den Brexit und den Aufstieg Trumps hätten ihn dieses Buch schreiben lassen. Gerade mit Blick auf diese jüngere Geschichte, meint Hewson, tauge das unscheinbare Denkmal für die vergessene Partisanin, das er beim Aussteigen aus dem Vaporetto gesehen hat, als Symbol: "Häufig ist das Wasser in der Lagune so hoch, dass die Figur kaum sichtbar ist." Das käme ihm vor, meint der Schriftsteller, "als wäre es eine Art Metapher für die Art, wie wir die Vergangenheit vergessen".
Garten der Engel
- Seitenzahl:
- 387 Seiten
- Genre:
- Roman
- Zusatzinfo:
- Übersetzt von Birgit Salzmann
- Verlag:
- Folio
- Bestellnummer:
- 978-3-85256-876-8
- Preis:
- 27 €