"Content": Wenn Menschen dem Algorithmus hinterherhecheln
Der Roman "Content" ist eine gnadenlose Beobachtung eines Transformationsprozesses. Wobei Elias Hirschl spitz überzogen, beängstigend und humorvoll zugleich auch über Strukturwandel schreibt.
Die Arbeitsbedingungen auf der "Smile Smile Inc."-Content Farm verlangen der namenlosen Ich-Erzählerin sehr viel ab. Über allem schwebt ständig das Damoklesschwert der Künstlichen Intelligenz, die ihren Job über kurz oder lang auffressen wird. Tagtäglich hecheln die "Smile Smile"-Angestellten dem Algorithmus hinterher, füttern Suchmaschinen mit Chatbots, schreiben sich für Klicks und Likes um Kopf und Kragen und erstellen unzählige sogenannte Listicle-Texte wie zum Beispiel die Top-10-Tipps, um im Haushalt Geld zu sparen oder die sieben dümmsten Arten, auf einem Besen zu fliegen.
Im Gegensatz zu ihrer Kollegin Karin hat sich die Erzählerin längst damit abgefunden, dass ihren Artikeln die Seele ausgehaucht wird, um massentauglichen Internet-Content zu generieren.
Die Smile-Smile-Artikel werden nicht direkt veröffentlicht, sondern durchlaufen eine Reihe von Bearbeitungs- und Prüfverfahren. Bei mir hat es etwa ein halbes Jahr gedauert, bis ich mich mit dieser Sinnlosigkeit abgefunden habe. Karin hingegen scheint es auch jetzt nach knapp drei Jahren noch nicht einsehen zu wollen. Am Tag, als Karin den Verstand verliert, schreibt sie neun Stunden am Stück, ohne ein einziges Mal vom Bildschirm aufzusehen. Leseprobe
Die alles überrollende Digitallawine
Den Blick schweifen zu lassen, lohnt sich eh nicht und erzeugt Unbehagen. Elias Hirschl lässt seinen Roman "Content" in einer Stadt spielen, die Staublunge genannt wird. Auf dem Gelände eines ehemaligen Stahl- und Bergbaugebietes steht Contentfarm neben Contentfarm und Startup-Unternehmen neben Startup-Unternehmen. Da, wo früher Kohle abgebaut wurde, wird jetzt virtuell Kohle gescheffelt.
Eine Geisterstadt, das ist der asynchrone Chor tausender nervöser Telefone, der links und rechts aus gekippten Fenstern singt. Deutliche Verbesserung in Sachen Work-Life-Flow gab es mit der Einführung der Mental Health Box, in die die Angestellten gehen können, um zu weinen oder verzweifelt zu schreien. Leseprobe
In Hirschls in der Gegenwart spielendem Roman geht es nicht nur Übertage unterirdisch zu. Auch unter der Erde ist es schreiend gespenstisch. Das Erdreich ist verunreinigt, die alten Bergstollen drohen einzubrechen und die Ewigkeitspumpen, die das Grundwasser absaugen, sind kaputt. Ständig droht eine Überschwemmung.
Ständig ist die Ich-Erzählerin dem Nichts ausgesetzt. Selbst ihr Privatleben ist unter der alles überrollenden Digitallawine verschütt gegangen.
Eine digital kontaminierte Dienstleistungsgesellschaft
Der Roman "Content" ist nicht handlungsintensiv. Es ist vielmehr eine gnadenlose Beobachtung eines Transformationsprozesses. Wobei Elias Hirschl spitz überzogen, beängstigend und humorvoll zugleich auch über Strukturwandel schreibt. Die im Roman zitierte Staublungenstadt könnte das Ruhrgebiet und Dortmund als Vorbild haben, wo Hirschl Stadtschreiber war. Die Staublungenstadt steht symbolisch für eine digital kontaminierte Dienstleistungsgesellschaft, in der das Miteinander erstickt ist und Begehrlichkeiten auf rein virtueller Ebene erschaffen werden.
"Wir haben die Lieferzeit verkürzt", sagt Jonas. "Wir werden sie in den negativen Bereich senken müssen. Wir müssen den Kunden die Produkte liefern, bevor sie sie bestellen. Bevor sie überhaupt wissen, dass sie sie bestellen wollen." Leseprobe
Elias Hirschl spielt in seinem Roman "Content" meisterhaft mit Wirklichkeit und Scheinbarkeit und jongliert auch mit der Wahrhaftigkeit von Literatur in KI-Zeiten. Vielleicht ist der Romantitel auch als eine Art vorangestelltes Fazit zu lesen: Denn zufrieden - von lateinisch "contentum" - macht diese Welt nicht.
Content
- Seitenzahl:
- 224 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Zsolnay
- Bestellnummer:
- 978-3-552-07386-9
- Preis:
- 23 €