Atemberaubendes Romandebüt "Chrysalis": Dem alten Leben entkommen
Der atemberaubende Debütroman "Chrysalis" der britischen Autorin Anna Metcalfe wurde in ihrer Heimat ein großer Erfolg. Nun erscheint das Porträt einer Frau, die eine innere und körperliche Wandlung durchlebt, auf Deutsch.
Elliot, Bella und Susie haben ein Stück Lebenszeit mit ihr verbracht. Bella kannte sie am längsten, denn sie ist die Mutter der namenlosen Hauptfigur in Anne Metcalfes Debütroman "Chrysalis". Die Leserinnen und Leser lernen die Namenlose ausschließlich durch Elliots, Bellas und Susies Schilderungen kennen. Zusammen zeichnen sie ein dreiteiliges Porträt eines Menschen, zu dem sie vergebens Nähe suchten.
Die Namenlose entzieht sich zwischenmenschlichen Verbindlichkeiten und weist die Verliebtheitsgefühle ihrer Fitnessclub-Bekanntschaft Elliot, die Liebe ihrer Mutter Bella und die freundschaftliche Zuneigung ihrer Arbeitskollegin und kurzzeitiger WG- Partnerin Susie letztendlich zurück. Bei allen dreien erzeugt die Namenlose nicht nur Faszination, sondern hinterlässt auch eine große Leere, denn irgendwann geht sie, was Susie wie folgt beschreibt:
Ich hatte Angst vor dem Alleinsein, doch es war nicht nur das. Sie übt ihre Macht über alle aus, die zu ihr gefunden haben. Sobald man sie einmal kennengelernt hat, ist es schwer, in die Zeit davor zurückzufinden. Leseprobe
Die Wandlung zu einer Art Ikone
Anna Metcalfes Namenlose ist eine Frau, die sich vor den Augen ihrer Mitmenschen verwandelt und zu einer Art Ikone wird, die man anbetet. Es ist eine innere und vor allen Dingen körperliche Wandlung, die sich im Fitnessstudio vollzieht, in dem auch Elliot trainiert.
Ihre Bewegungen sind unheimlich langsam. Die Namenlose entwickelt eine Art von Meditation, bei der sie sehr lange regungslos in einer Pose verharren kann. Sie scheint ihren Geist und ihren Körper zu beherrschen und übt einen unwiderstehlichen Sog auf Elliot aus, der es schafft, mit ihr eine Beziehung zu führen.
Ich wollte Teil ihrer Welt sein. Das viele Nachdenken über sie - wie sie sich bewegte, wie sie ging, wie sie den Raum veränderte - hatte dazu geführt, dass ich mein Leben umkrempeln wollte. Ich war ihr erster Zuschauer, ihr erster Follower, ihr erstes Like. Leseprobe
Irgendwann geht die Namenlose mit ihrer Meditation viral. In den sozialen Medien postet sie Videos, in denen sie ihre große Followerschaft auch dazu animiert, sich zu isolieren und die Verbindung zu Familie und Freunden zu kappen. Bella kannte diese Vorliebe zur Isolation schon aus der frühen Kindheit ihrer Tochter, die als Außenseiterin galt und wegen ihrer Zitteranfälle gemobbt wurde.
"Chrysalis": Sprachlich beeindruckend
In ihrem Roman "Chrysalis" zeichnet Anna Metcalfe ein sprachlich beeindruckendes Porträt der namenlosen Hauptfigur, die seit früher Kindheit autistische Züge aufweist, in ihrem Leben traumatische Erfahrungen machen musste und durch ihre Verwandlung den Spieß umdreht. Zitterte sie als kleines Mädchen am ganzen Körper, so geht es ihr jetzt ums absolute Stillhalten. Ihre emotionale Unerreichbarkeit sieht sie als Freiheit, was zu einem guruhaften Credo wird.
Mit dem Titel "Chrysalis" verweist Anna Metcalfe auf die Metamorphose eines verpuppten Insekts. Wobei nur die Namenlose Flügel zu bekommen scheint und ihrem alten Leben entkommt. Die anderen um sie herum - so heißt es im Roman - entwickeln sich zurück. In dem atemberaubenden Romandebüt geht es auch um die Gefahr der Selbstauslöschung, der letztendlich auch die Namenlose ausgesetzt ist.
Chrysalis
- Seitenzahl:
- 272 Seiten
- Genre:
- Roman
- Zusatzinfo:
- Aus dem Englischen von Eva Bonné
- Verlag:
- Rowohlt
- Bestellnummer:
- 978-3-498-00322-7
- Preis:
- 24 €