Buch-Cover: Anthologie "Brüste" (Hrg. Linus Giese) © Klett Cotta
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AUDIO: Neues Buch: "Brüste. Eine Anthologie" (5 Min)

"Brüste. Eine Anthologie": Von pointenreich bis beeindruckend

Stand: 28.05.2024 06:00 Uhr

Insgesamt zwölf Autor:innen erzählen im Essayband "Brüste. Eine Anthologie" ihre persönlichen Geschichten zu dem viel beachteten Körperteil. So unterschiedliche wie ihre Sichtweisen sind auch die Schreibstile.

von Alexandra Friedrich

"Da sind sie immer. Morgens beim Aufstehen, mittags beim Kaffeemachen, abends beim Ausziehen", stellt Antje Rávik Strubel ganz sachlich fest. Die Buchpreisträgerin hat einen Beitrag zur neuen Anthologie "Brüste" geschrieben. "Groß oder klein, Schlupfwarzen oder steife Nippel, spitz hervorragend oder weich abfallend, apfel- oder birnenförmig, mit Haarbewuchs und ohne, fest oder weich. Beschaffenheit und Aussehen sind kaum beeinflussbar", schreibt Rávik Strubel. Und trotzdem werden Menschen jeden Tag für ihre Brüste bewertet oder auch abgewertet, definiert und in Schubladen gesteckt. Unsere Vorstellungen und Normen rund um diesen Körperteil zu hinterfragen. Darum geht es Linus Giese und Miku Sophie Kühmel, die "Brüste" herausgegeben haben.

Vor allem Queere Perspektiven bekommen Raum

Sie setzen hier auf die Aussagekraft individueller Erfahrungen: Es geht nicht um Kulturgeschichte, sondern um ganz persönliche Geschichten. Vor allem queere Perspektiven sollen Raum bekommen - in Stil und Tonfall ganz unterschiedlich erzählt. Die Berliner Kabarettistin Michaela Dudley setzt auf Punchlines.

Ich bin eine Frau ohne Menstruationshintergrund, aber mit Herzblut, in der Regel. Denn ich bin eine trans* Frau mit Leib und Seele. Das sage ich gewissermaßen im Brustton tiefer Überzeugung. Sogar zwei Oktaven tiefer als eventuell erwartet. Auf jeden Fall liegt mir etwas auf dem Herzen. Silikon, gell? Genauer genommen Silikongel, das von einer weichen, wenn auch festen Tasche umhüllt ist. Essayzitat Michaela Dudley aus:"Brüste. Eine Anthologie"

Beeindruckender Text über Krebserkrankung

Michaela Dudley hat ein Faible für’s Wortspiel, die Schriftstellerin Daniela Dröscher liebt das Fragment: In Textfetzen sinniert sie über den Begriff Busenfreundin und die Brusttasche oder erinnert sich an Demütigungen im Literaturbetrieb. "Als ich für mein Debüt einen Literaturpreis bekam, monierte ein mir unbekannter Kollege in seinem Blog: Dass die Wahl auf mich gefallen sei, wäre zwar bedauerlich, aber an der Körbchengröße könne es nicht liegen, da sei schließlich nicht viel zu holen", schreibt Dröscher. Formal vielleicht nicht am bemerkenswertesten, aber dennoch besonders eindrücklich: Kirsten Achteliks Text über die eigene Krebserkrankung und die notwendige Amputation einer Brust.

Ich habe eine Brust. Ihr seht, ich schreibe nicht: "Ich habe noch eine Brust", oder: "Ich habe nur eine Brust." Ich will mit dem Satz keinen Verlust ausdrücken, ich will auch nicht suggerieren, dass sich an diesem Zustand noch etwas ändern wird - ich will einfach nur meinen Oberkörper beschreiben. Einen etwas ungewöhnlichen Oberkörper, zugegebenermaßen. Die Tumortitte ist ab. Und nichts ist stattdessen da. Essayzitat Kirsten Achtelik aus:"Brüste. Eine Anthologie"

Während sich die Mitpatientinnen ausnahmslos für einen Wiederaufbau der amputierten Brust entschieden, war Achtelik klar, dass sie keinen neuen Fremdkörper wollte.

Die Vorstellung, den Tumor mit Silikon zu ersetzen, erschien mir befremdlich und stieß mich ab. Ich wollte nicht noch mehr Wunden und Narben - beim Auffüllen mit eigenem Fett muss das ja irgendwo anders weggenommen werden. Stattdessen wollte ich nach der Operation heilen. Essayzitat Kirsten Achtelik aus:"Brüste. Eine Anthologie"

Für diese Entscheidung erntete Achtelik viel Unverständnis, musste sich immer wieder rechtfertigen. Ein beeindruckender und augenöffnender Text, meint auch Herausgeber Linus Giese. "Was gibt es für Erwartungen an mich, wie ich mit dieser Erkrankung umgehen soll? Was gibt es für gesellschaftliche Vorstellungen? Und sich davon so ein Stück weit zu befreien und einen eigenen Weg und einen eigenen Umgang mit dem Körper zu finden, fand ich schon sehr berührend", erzählt Giese.

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Brustentfernung für eine erfüllteres Leben?

Auch Linus Giese hat sich einer Mastektomie unterzogen - in seinem Fall beidseitig und ohne medizinische Notwendigkeit. Er ist trans*Mann. Für ihn ging es nicht ums Überleben. Es ging ums Leben. "Das war schon eine Entscheidung, mit der ich mich ganz schön lange gequält habe und die ich dann irgendwann getroffen habe, als ich wirklich das Gefühl hatte, ich muss jetzt diese OP machen, um mit mehr Lebensqualität, oder Lebensfreude weiterleben zu können", erklärt er. Obwohl er sich so lange gequält habe mit dieser Entscheidung, habe er sie keine Sekunde lang bereut. "Mein Leben ist sehr viel erfüllter seit meiner Brustentfernung", betont Giese.

Körperteilen kein Geschlecht zuweisen

Zu "wunschlos glücklich" fehlt Giese aber noch etwas: die Erfüllung einer Utopie, die für ihn noch in weiter Ferne liegt, ihn aber trotzdem antreibt. Er wünscht sich, dass Körperteilen irgendwann kein Geschlecht mehr zugewiesen wird. "Also dass Menschen nicht denken: 'Ach, das muss eine Frau sein, weil diese Person Brüste hat.' Oder 'ach, das muss ein Mann sein, weil diese Person einen Penis hat.'" Seine Motivation, diese Anthologie mit herauszugeben, sei das Gefühl gewesen, dazu zumindest einen kleinen Anteil leisten zu können. Er wünscht sich: "dass diese Vorstellung, dass Brüste immer weiblich sein müssen, ein bisschen aufgebrochen werden kann, also dass wir lernen, irgendwie anders über Körperteile nachzudenken."

Anthologie Brüste

von Linus  Giese (Hg.)
Seitenzahl:
176 Seiten
Genre:
Sachbuch
Zusatzinfo:
Miku Sophie Kühmel (Hg.)
Verlag:
Klett Cotta
Bestellnummer:
978-3-608-50249-7
Preis:
20 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Der Nachmittag | 28.05.2024 | 15:20 Uhr

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