Giuseppe Tomasi di Lampedusa: "Der Gattopardo"
In 25 Folgen der Wissensreihe "Große Romane der Weltliteratur" streifen wir durch die Geschichte des Romans von den Anfängen bis in die Gegenwart. In dieser Folge dreht sich alles um Giuseppe Tomasi di Lampedusas "Der Gattopardo".
Von Hanjo Kesting
Tomasi di Lampedusas Roman "Der Gattopardo" gehört zu den Büchern, um die vom Tag ihres Erscheinens an Mythen gewoben wurden. Der Verfasser, der bis dahin nichts veröffentlicht hatte, soll den Roman im Alter von sechzig Jahren geschrieben haben, Tag für Tag in verschiedenen Cafés von Palermo. Als er mit dieser Arbeit fertig war, sei er erkrankt und gestorben, nicht ohne noch erfahren zu haben, dass das von seinem Buchhändler an verschiedene Verlage geschickte Manuskript überall abgelehnt worden sei. Erst ein Jahr nach seinem Tod sei es dem Schriftsteller Giorgio Bassani in die Hände gefallen, der den Wert des Manuskripts sogleich begriffen und es seinem Verleger Feltrinelli empfohlen habe. Dieser publizierte es 1958 unter dem Titel "Il Gattopardo", der zunächst als "Der Leopard" ins Deutsche übersetzt wurde, leicht verfälscht, denn der Gattopardo ist die Pardelkatze.
Der Roman war von Anfang an ein Erfolgsbuch, erhielt den Premio Strega, Italiens angesehensten Literaturpreis, wurde in wenigen Monaten hundertvierzigtausend Mal verkauft und von Luchino Visconti grandios verfilmt, wie zur Bestätigung dafür, dass das Buch, wie Friedrich Sieburg bei Erscheinen der deutschen Ausgabe schrieb, "auf keine zeitliche Bedingung angewiesen ist".
Ein Tag der Veränderung
"In diesem Roman", schrieb Lampedusa in einem Brief, "wird es um vierundzwanzig Stunden aus dem Leben meines Urgroßvaters gehen, um den Tag, an dem Garibaldi auf Sizilien landete." Es ist der 11. Mai 1860. Garibaldi, die Symbolfigur der italienischen Einigungsbewegung, landete mit tausend Freischärlern bei Marsala und besiegte die bourbonischen Truppen. Das handstreichartige Unternehmen verändert von einem Tag auf den anderen die politische Landkarte Italiens. Gerade noch in zahlreiche Kleinstaaten und Fürstentümer zersplittert, erglüht das Land im patriotischen Feuer des Risorgimento. Die Herrschaft der alten Mächte stürzt, und Italien schließt sich im Zeichen des Liberalismus zusammen. Auch Sizilien wird von dieser Bewegung erfasst, aber in einer zwiespältigen und widersprüchlichen Weise. Auch nach der Einigung Italiens bleibt es bestimmt von seiner geographischen Randlage, seiner insularen Existenz, seiner ökonomischen Unterentwicklung und sozialen Deformation, kurz, von seiner historischen Verspätung.
Abgesang auf die aristokratische Welt Siziliens
Das ist das eigentliche Thema des Romans des "Gattopardo". Don Fabrizio Corbera, der Fürst von Salina, die Hauptfigur, verkörpert die uralte Herrenschicht, die patriarchalisch regiert hat und nun von der hochkommenden Bourgeoisie, von ihrem Erwerbssinn, der Geldwirtschaft, der Spekulation verdrängt wird. Der Leopard - das Wappentier der Fürsten von Salina - muss weichen, seinen Platz nehmen fortan die kleinen Schakale ein. Don Calógero, der von der Woge der Ereignisse hochgetragene Emporkömmling, gibt seine schöne Tochter Angelica dem Neffen des Fürsten, mit Namen Tancredi, zur Frau. Tancredi schlägt sich auf die Seite des "neuen Italien", das heißt auf die Seite der neuen Aristokratie des Geldes, die an die Stelle der alten Aristokratie des Blutes getreten ist. Für ihn und seine Standesgenossen gilt die zynische Maxime: "Wenn wir wollen, dass alles bleibt, wie es ist, dann ist es nötig, dass alles sich verändert."
Die Welt ändert sich, Italien ändert sich, aber so wie Sizilien unwandelbar ist, so haftet auch dem Fürsten Salina etwas Zeitloses, Unerschütterliches an. Er geht durch Lampedusas Buch wie eine Verkörperung seiner Heimatinsel, hünenhaft und stark. Doch seine Lebenskraft, die anfangs so gewaltig erscheint, erweist sich am Ende als ausgehöhlt und hinfällig. Über manchen Seiten des "Gattopardo" breitet sich ein schwerer Fäulnisgeruch aus, wie er in der Verbindung von Geschlechtlichkeit und Tod, Üppigkeit der Natur und raschem Verfall drastischer und zugleich verfeinerter kaum denkbar ist. Der Roman ist ein Abgesang auf die aristokratische Welt Siziliens, der der Autor selber entstammte, geschrieben im Bewusstsein des nahenden Todes, eingehüllt in den Geruch der Vergänglichkeit. Und Lampedusas Kunst ist, wie Friedrich Sieburg schrieb, "von einer Fülle und Unbefangenheit, die geradezu überwältigend sind."