Siegfried-Lenz-Preisträgerin Claire Keegan bei "Der Norden liest"
Die Lesung im Rolf-Liebermann-Studio des NDR in Hamburg bot die seltene Gelegenheit, die irische Schriftstellerin Claire Keegan kennenzulernen. Am Freitag bekommt sie im Hamburger Rathaus den Siegfried-Lenz-Preis verliehen.
Fast zwei Stunden hing das Publikum an ihren Lippen. Wohl kaum einer hatte sie, die sich so rar macht, erlebt bei einer Lesung. Aber fast jeder im Saal kannte die wenigen, sehr kurzen Romane und Erzählungen der irischen Autorin, und alle wollten wissen, wie sie das schafft, so packend, so intensiv, so zu Herzen gehend zu schreiben - mit so wenig Text. Diese Knappheit schien auch für Claire Keegans Antworten zu gelten. "Ich versuche nicht, so kurz wie möglich zu sein", sagte sie. "Ich versuche nur, die richtige Länge zu finden."
Claire Keegan hadert mit jedem Wort
Die Geschichten der irischen Autorin sind zumeist Erzählungen oder kurze Romane von kaum 100 Seiten, und doch haben sie eine solche Intensität, eine solche Wucht, dass schon zwei von ihren Geschichten zu abendfüllenden Kinofilmen wurden. Die Filmtitel sind: "Small Things Like These" und "Das Stille Mädchen". Bei der Lesung beschrieb sie, wie sehr sie mit jedem Wort hadert, ihre kurzen Erzählungen immer wieder, bis zu 30 Mal, oder noch häufiger überarbeitet. Immer geht es darin um die Situation von Frauen in Irland, drangsaliert von der katholischen Kirche, oder gefangen in einer Ehe.
Erzählung mit spöttischem Unterton
Es geht um Liebe und Mitgefühl, die man in jungen Jahren erlebt haben sollte - von liebevollen Eltern. In ihrer gerade erschienen Erzählung "Reichlich spät" hat der junge Ire Carl genau das nie erfahren. Er macht seiner französischen Freundin, die ihm gerade einen Kuchen gebacken hatte, bei einem Glas Beaujolais einen unbeholfenen Heiratsantrag. Die Freundin antwortet mit einem kühlen Lachen. Claire Keegan las das mit bitterem Spott, der den Ton dieser außergewöhnlichen Autorin ausmacht.
Keine Freundin kryptischer Geschichten
Die Klarheit der Texte nannten ihre Leserinnen und Leser immer wieder als ihre besondere Qualität. Im Gespräch mit Jan Ehlert erzählte die Schriftstellerin, warum diese Klarheit ihr wichtig ist. "Sie liest sehr langsam mit der Geschwindigkeit einer Schnecke und deswegen ist es für sie umso wichtiger, dass das, was sie liest, Sinn ergibt, dass es zusammenhängt", übersetzte der NDR Redakteur ihre Antwort. Sie sei keine Freundin von besonders kryptischen Geschichten, die man sich erst selber erklären müsse. Ihr gehe es darum, dass sich das, was auf den Seiten geschieht, logisch erschließe. "Für sie ist die Körperlichkeit das ganz Entscheidende. Alles andere ergibt sich daraus. Wenn sie weiß, wie sich ein Mensch fühlt, wenn sie weiß, wie sich ein Mensch in bestimmten Situationen körperlich verhält, dann folgt der Rest daraus", übersetzt Ehlert.
"Klar, pur, authentisch und überraschend"
Claire Keegan ist damit eine mehr als würdige Trägerin des Siegfried-Lenz-Preises. Und auch das Publikum hatte daran keinen Zweifel. Eine Besucherin bezeichnet Keegan als eine gute Autorin, die die Lesenden fesselt und der es außerdem gelingt, bei der Lesung unterhaltsam zu sein und an das Werk heranzuführen. "Das hat sie sehr gut gemacht. Das hat mich sehr beeindruckt," sagte die Besucherin. Einer anderen Leserin gefällt der Schreibstil. "Claire Keegan ist einfach so klar, pur, authentisch und überraschend - und dann hat sie gesagt, ihre Geschichten sind nicht kurz, sondern sie sind so lang, wie sie sein müssen, um das auszudrücken was sie ausdrücken möchte. Das hat mir gefallen."
Lesung nachhören bei NDR Kultur
Sie können die vollständige Lesung nachhören bei uns, bei NDR Kultur, in der Sendung "Das Sonntagsstudio" am 08. Dezember. Am Freitag erhält Claire Keegan den mit 50.000 Euro dotierten Siegfried-Lenz-Preis im Hamburger Rathaus. Die Laudatio hält die Dramatikerin und Literaturkritikerin Laura de Weck.