Pippi Langstrumpf neu entdeckt
Sie ist das stärkste Mädchen der Welt: Pippilotta Viktualia Rollgardina Pfefferminz Efraimstochter Langstrumpf - kurz Pippi. In diesem Jahr wird sie 75 Jahre alt. 1945 erschien in Schweden das erste "Pippi Langstrumpf"- Buch von Astrid Lindgren. Doch Pippi altert natürlich nicht.
Eine, die das Pippi-Bild in Deutschland heute entscheidend prägt, ist die Hamburger Illustratorin Katrin Engelking. Gerade frisch erschienen ist, passend zu Jubiläum, das Bilderbuch "Pippi Langstrumpf feiert Geburtstag". NDR Kultur hat mit der Illustratorin über ihre Interpretation von Pippi Langstrumpf gesprochen.
Sie haben mal gesagt, es sei wie ein Sechser im Lotto, Pippi illustrieren zu dürfen. Gleichzeitig ist es natürlich wahnsinnig schwer: Pippi wurde schon von anderen Illustratoren dargestellt, es gibt einen Film. Wussten sie damals sofort, wie ihre Pippi aussehen soll, oder war das ein sehr langer Weg?
Katrin Engelking: Nein, eigentlich war der Weg relativ kurz. Ich habe die genaue Beschreibung von Astrid Lindgren auf der ersten Seite des ersten Bandes gelesen. Wenn man die mit meiner Art Kinder zu malen mischt und noch das innere Bild, das jeder durch die Filme und so weiter hat, dazu tut, kommt am Ende eigentlich zwingend die Pippi heraus, die ich male.
Was ist der Kern dieses inneren Bildes?
Engelking: Ich glaube, das ist wirklich die Film-Pippi. Die Pippi in den kleinen blauen Bänden von Walter Scharnweber mochte ich als Kind früher nicht so gerne. Darum war mein Pippi-Bild eher das der Pippi aus den Filmen mit Inger Nilsson. Und dann natürlich die Beschreibung, die im Buch steht.
Was hat sie gestört? Ich meine, das sind ja keine opulenten Bilder in diesen kleinen blauen Büchern, sondern eher angedeutete Zeichnungen.
Engelking: Ich glaube, ich fand sie so erwachsen. Für mich als Kind war Pippi auf den Bildern sehr groß, fast jung-damenhaft - und dann immer diese sehr nach oben gebogene Nase. An so Kleinigkeiten konnte ich mich schon als Kind sehr aufhängen. Hat mich irgendwie nicht so begeistert.
Das heißt, sie haben als erstes entschieden: Sie muss eine andere Nase haben?
Engelking: Ja, auf jeden Fall. Ich muss sagen, jetzt als Erwachsene finde ich die Zeichnungen von Walter Scharnweber auch irgendwie toll, denn wenn man sich erst so ein bisschen damit beschäftigt hat, dann weiß man das auch zu würdigen. Aber damals...
Aber es war wahrscheinlich trotzdem ein leichter Schock, als diese Anfrage vom Oetinger-Verlag kam, oder?
Engelking: Ja, es war echt ein Schock. Ich wurde vom Verlag relativ langsam an die Astrid Lindgren Werke herangeführt und konnte mich erst einmal mit verschiedenen anderen Texten erproben. Als dann der erste Auftrag kam, mal was mit Pippi Langstrumpf zu malen, war das schon aufregend.
Pippi ist ja eine Heldin, ich glaube nicht nur vieler kleiner Mädchen, sondern vielleicht auch noch mancher großen Frau - und vielleicht auch nicht nur von Mädchen und Frauen. Was waren sie für ein Mädchen?
Engelking: Ich war ein 'Annika-' oder 'Thomas-Mädchen' - nicht so sehr Annika, aber auch nicht Pippi, eher lieb und auf Harmonie bedacht. Ich war viel draußen, habe aber auch sehr viel gelesen. Auf jeden Fall war ich nicht rebellisch und bin auch nicht auf die Idee gekommen, dass Pippi mein Vorbild sein könnte, als ich die Geschichten damals gelesen habe. Die war ganz aus einem anderen Kosmos.
Wie fängt man denn an, so eine Figur zu zeichnen? Sie haben ganz genau Astrid Lindgrens Beschreibung gelesen. Reicht das wirklich oder muss noch etwas dazu kommen?
Engelking: Naja, da ist schon eine Art Ausstrahlung, die man gerne hätte. Die spielt sich ganz stark in der Körpersprache ab, in den Gesichtszügen. Wie sehr blitzen die Augen, wie doll ist das Lachen? Das ist ein ganz entscheidender Punkt.
Gab es auch Vorgaben darüber hinaus? Dass der Verlag ganz klar gesagt hat, wir möchten auf jeden Fall, dass es ganz anders ist, als es bisher alle kennen? Oder dass ein ganz bestimmtes Bild erfüllt werden sollte?
Engelking: In der Probephase durfte ich erst einmal ein bisschen ausprobieren. Der Verlag hat gesagt: Mach doch mal etwas ganz freches, das wäre doch mal witzig. Also frecher, als das, was ich sonst male. Pippi war ja frech, nur ich war es nicht so. Aber es wurde schnell klar, dass sie doch lieber etwas Einfacheres haben wollten.
Letztendlich habe ich mich damit beim weiteren Malen auch selber immer herunter gekühlt. Wenn ich beim Malen dann doch wieder zu nervös wurde und mir zu viele Gedanken gemacht habe, habe ich mir immer wieder gedacht: Komm, die haben dich ja gebucht, weil sie wussten, was dann kommt. Mach doch einfach, was du kannst und konzentriere dich darauf. Irgendwann bekam ich Angst, überhaupt nicht mehr fertig zu werden, wenn ich mich total verkrampfe und über jedes Bild nachdenke. Dann bin ich irgendwann in eine Arbeitsroutine gekommen, die einem ermöglicht, dass Buch überhaupt zu bewältigen.
Ich assoziiere Pippi Langstrumpf sehr stark mit dem Draußensein - im Garten, in der Natur. In Ihren Illustrationen sehen wir ja auch die Villa Kunterbunt in einer Landschaft. Ich hab mich am Ende gefragt, sind das Berge oder Wolken? Man sieht auch das Haus von Thomas und Annika, wo dann ganz viele Tannen hinter dem Haus stehen. Wie entwickeln sie diese Welt?
Engelking: Die entsteht natürlich auch oft aus der Komposition des Bildes. Das steht ja auch alles im Text. Man braucht einen Garten, da sind hohe Bäume und aller möglicher lustiger Unrat, damit es auch möglich wirklich nach der Villa Kunterbunt aussieht. Ja und wenn dann noch Platz ist, oder rein kompositorisch auch noch etwas fehlt, dann müssen natürlich irgendwie noch wilde Wolken oder Berge oder hohe Tannen in den Hintergrund. Das ist jetzt weniger tiefschürfend als man denkt. Manchmal braucht man einfach noch so ein gestalterisches Moment, wo eine bestimmte Farbe vorkommt oder eine Art Gewicht für das Bild entsteht.
Sie haben ja bereits viele andere Bücher illustriert. Wie stark prägt so eine Figur wie Pippi, die so viel Raum einnimmt, das Gesamtwerk? Spiegelt das auch irgendwie zurück auf das, was sie sonst noch so machen?
Engelking: Ach, ich glaube nicht. Das kann man schon trennen. Ich fühl mich auch immer wieder wie der Spiegel dessen, was ich da lese. Und wenn ich dann zum Beispiel von Kirsten Boie ein Bärenmärchen illustriere, dann tauche ich da komplett in die Welt der Bären ein. Das hat dann überhaupt nichts mit dem zu tun, was Pippi vorher gemacht hat, sondern ist wirklich wieder etwas vollkommen Neues und eine ganz andere Welt. Das ist auch das Schöne an dem Beruf, dass man immer wieder in völlig neue Universen eintritt.
Das Gespräch führte Katja Weise.