PEN Berlin wächst und debattiert in Hamburg
"Kultur im Osten unter Druck" - das war ein Thema bei dem Treffen des PEN Berlin am Sonnabend in der Altonaer Fabrik. Bereits am Freitag waren fast 100 neue Mitglieder aufgenommen worden, darunter die Schriftstellerinnen Martina Hefter und Caroline Wahl.
"So kommen wir weiter" hatte man als Motto für den Jahreskongress des PEN Berlin gewählt, der in diesem Jahr in der Fabrik in Hamburg-Altona stattgefunden hat. Und tatsächlich: weitergekommen ist die Schriftstellervereinigung. Bereits am Freitag haben die Mitglieder einen neuen Vorstand bestimmt. Bei den Wahlen wurde Deniz Yücel als Sprecher bestätigt. Als neue Sprecherin wurde Thea Dorn gewählt. Die ließ sich beim Kongress entschuldigen - aus familiären Gründen.
Scheidende Sprecherin Eva Menasse zieht Bilanz
So war der PEN Berlin-Kongress noch einmal von der nun scheidenden Sprecherin Eva Menasse geprägt, die sich nach zweieinhalb Jahren nicht noch einmal zur Wahl stellte und in ihrer Eröffnungsrede eine erste Bilanz zog. Sie zählte auf, welche Autorinnen und Autoren durch die Hilfe des Vereins ein Leben in Sicherheit in Deutschland ermöglicht worden ist, etwa die türkisch-kurdische Lyrikerin und Romanautorin Meral Şimşek, der afghanische Journalist Nassir Nadeem und die iranische LGBTQ-Aktivistin Zahra Sedighi-Hamedani.
Man sei zu einem kulturpolitischen Player geworden, so Menasse, über den noch nicht einmal drei Jahre alten Verein. Bei seiner Mitgliederversammlung am Freitag nahm der Schriftstellerverband auch fast 100 neue Mitglieder auf, darunter die Schriftstellerinnen Martina Hefter und Caroline Wahl, den Soziologen Steffen Mau, den Moderator Jörg Thadeusz und den Schauspieler Ulrich Matthes. Damit ist PEN Berlin mit weit über 700 Angehörigen die inzwischen größte Schriftstellervereinigung im deutschsprachigen Raum, sagt Menasse.
PEN Berlin "scheut sich nicht, in bestimmte Wespennester zu stoßen"
Sie sei stolz, dass PEN Berlin innerhalb von kurzer Zeit eine lebendige und kontroverse Autorinnen- und Autorenvereinigung geworden sei, "die die nötigen politischen Diskussionen führt und die sich auch nicht scheut, in bestimmte Wespennester zu stoßen."
Man könnte auch sagen: mächtig Staub aufwirbeln. So wie die Gesprächsreihe "Das wird man doch noch sagen dürfen", als PEN Berlin anlässlich der diesjährigen Landtagswahlen auf Tour zu den Menschen durch den Osten zog. Von der "Sächsischen Zeitung" ist die Reihe als "Sternstunde der Debattenkultur" bezeichnet worden. "Wenn es gelingt, dass die Leute rausgehen und sagen 'gut, dass das hier stattgefunden hat', dann bin ich schon zufrieden", so Menasse. "Und das haben wir in einem ganz großen Maßstab erreicht."
Besorgniserregende Veränderung des gesellschaftlichen Klimas
Die Debatte darüber, wie es um die Meinungsfreiheit im Osten bestellt ist, wurde auf einem Panel weitergeführt, das die Frage aufwarf, wie stark die Kulturszene im Osten unter Druck steht. Iris Helbig, Leiterin des Kulturamts Meiningen, bemerkt in Thüringen eine besorgniserregende Veränderung des gesellschaftlichen Klimas. Dinge, die vor zehn Jahren nicht sagbar gewesen seien, würden "rausgeschrien", "Jude" würde als Schimpfwort benutzt. "Jugendliche, die mit einem Hitlergruß auf dem Schulhof stehen, sind total normal. Bekannte oder Freundinnen muslimischen Glaubens werden ständig angefeindet, wenn sie ein Kopftuch tragen", so Helbig.
Daniel Morgenroth vom Theater Görlitz berichtete, dass seine Bühne nicht nur politisch, sondern auch finanziell in Bedrängnis gerät. "Das Kulturland Sachsen steht kurz vor dem Kollaps", erklärt Morgenroth. Viele kommunal getragene Theater und Orchester stünden nächstes Jahr vor der Pleite.
"Sensitivity Reading": Schere im Kopf?
In einem anderen Panel ging es um die innere Zensur beim Schreiben. Das Thema "Sensitivity Reading" ist in aller Munde. Davon konnte der schweizerische Schriftsteller Alain Claude Sulzer erzählen, dem kürzlich eine Förderung verweigert werden sollte, weil er in einem literarischen Manuskript das Z-Wort für Sinti und Roma verwendete. Ein Eingriff in die Kunstfreiheit? "Die Leute, die das lesen, werden ganz genau verstehen, warum dieser Ich-Erzähler dieses Wort verwendet und dass es auch im Grunde genommen nicht wirklich despektierlich gemeint ist", so Sulzer.
Doch gibt es inzwischen bei jungen Autoren eine innere Schere im Kopf, wenn es um die behutsame Verwendung von Sprache geht? Schriftstellerin und Filmemacherin Jovana Reisinger entgegnet auf die Frage danach: "Ich denke, man muss sich nicht nur fragen, für wen man das Buch schreibt, sondern auch für welche Überzeugungen. Vielleicht ist manchmal eine kleine Schere auch gar nicht verkehrt. Denn man kann ganz schön viel bewegen, wenn man sich von Stereotypen, Klischees und Beleidigungen löst."
Erinnerung an jene, die im Gefängnis sitzen
Besonders berührend auf dem Kongress waren unter anderem die Reden von Alexandru Bulucz und Sandra Hetzl. In kurzen Porträts erinnerten sie an jene, die wegen ihrer Arbeit in Gefängnissen sitzen, wie zum Beispiel der ägyptische Autor Alaa Abdel Fattah oder der bekannte iranische Rapper Toomaj Salehi. Das machte deutlich, wo die Wurzeln des noch jungen PEN Berlin liegen, der sich eben auch als eine Menschenrechtsorganisation begreife, wie Eva Menasse in ihrer Abschiedsrede sagte.
Gleichwohl werde sich der Verband auch zukünftig in gesellschaftliche Debatten einmischen, glaubt die scheidende Sprecherin: "Wenn die Leute beisammen bleiben, von ganz konservativ bis ganz links, dann zeigen wir, was gesellschaftlich möglich ist. Dann machen wir sozusagen einen kleinen Schriftstellerstaat im großen Staat, der zeigt, dass es funktionieren kann."