Martina Hefter: "In die Wälder gehen, Holz für ein Bett klauen"
Was die in Leipzig lebende Künstlerin Martina Hefter macht, das passt nicht wirklich in eine Schublade. Oft verbindet die 1965 geborene Schriftstellerin poetische Texte mit Tanz und Performance.
Wenn Martina Hefter loslegt mit dem Dichten, dann tänzeln die Worte, sie hüpfen, sie schlurfen, sie stolpern. Sofort fällt dieser lebendige Rhythmus auf, mit dem sie uns reinholt in ihre Poesie.
Die Tanne vorm Fenster wächst, wächst, wiegt mich in den Schlaf.
Ich hab das grüne Blut der Bäume, es rauscht in mir.
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Spiel mit Worten, Klängen und Assoziationen
Die Autorin liebt die Performance, das merkt man auch ihren Texten an. Sie spielt mit Klängen und Assoziationen. Ihre Gedichte verlangen geradezu den Vortrag, mindestens das laute Lesen zuhause. Was inhaltlich wie zarte Naturlyrik anfängt, wird schnell zum bittersüßen Kommentar - zu den vielen Dingen, die in unserer Welt schieflaufen.
Das weiche wundersame schlafende Gras flammt
in meinen Augen, flammt, wenn ich in den Garten schau:
Hausmeister hat wieder Gift gespritzt, verdorrt liegt das Unkraut, gestorben.
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Mensch und Natur sind ein großes Thema
In ihrem neuen Gedichtband "In die Wälder gehen, Holz für ein Bett klauen" nimmt Martina Hefter die Beziehung von Mensch und Natur in den Blick. Mal sind sie Vertraute, mal Verbündete, mal Gegenspieler. Wobei der Mensch sich immer wieder als das Übel hervortut. Der Mensch, der Atom- und Datenmüll produziert, der die Klimakrise verschärft, entsorgte Klamotten nach Afrika verschifft. Und der Mensch, der konsumsüchtig jedes Obst und Gemüse immer verfügbar haben will.
Wie ich Äpfel pflückte,
runde Schatten auf mein Gesicht fielen -
nicht das gleiche wie jetzt, wo keine Pflanze mehr einen goldenen September braucht.
In der Obstschale die Äpfel schrumpeln.
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Manchmal fehlt es der Autorin an Feingefühl
Es handelt sich also keineswegs um Wohlfühllyrik. Stark und unbequem sind die gesellschaftskritischen Botschaften, die in diesen Gedichten stecken. Eindringlich und anschaulich. Hier zeigt sich mal wieder die Kraft der Poesie. Trotzdem hätte die Kritik manchmal etwas subtiler verpackt werden können. Schließlich hat Martina Hefter allemal das Feingefühl, in leisen und nicht weniger ergreifenden Tönen zu sprechen. Das beweist sie in ihrem besonders berührenden Gedicht über ein magersüchtiges, sich fast zu Tode hungerndes Mädchen namens Linn Meier. Der stärkste Text im Buch.
und ich, ich trank ein Röhrchen Backaroma
Vanillegeschmack
trank die Essenzen der Dinge
genehmigte mir manchmal einen Teelöffel Backpulver
kostete die Moleküle des Universums
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Linns Ziel ist eine "Thigh Gap", die Oberschenkellücke, die durchs Hungern entsteht, es wird "dark", ein Jahr wird "unboxt", entpackt sozusagen - mühelos baut Martina Hefter das Vokabular der sozialen Medien ein.
Einige Rätsel bleiben ungelöst
Ihre Gedichte überschreibt sie mit Textzuweisungen wie "Essay" oder "Sage". Gern führt sie uns aufs Glatteis. Das funktioniert meist recht gut, weil die kleinen Irritationen aushaltbar und amüsant sind und letztlich unsere Lesegewohnheiten in Frage stellen.
In der erwähnten Sage mit dem Titel "Flammen" treibt sie es allerdings etwas weit. Sie montiert zwei konkurrierende Texte - mindestens eins davon ist ein Gedicht - gegeneinander. Das fordert uns nicht nur, das stresst beim Lesen auch. Da hetzt man hin und her zwischen der Geschichte einer modernen Jagdgöttin und Kleinsttexten über Pflanzen, die Corona-Pandemie und Wortarten.
Ohne. Mit. Plus. Minus. Mehr. Mehr. Wenig. Viel. Einiges. Alles. Alles. Nichts. Leseprobe
Manches ungelöste Rätsel müssen die Leserin und der Leser am Ende dieser Lektüre ertragen. Ein Gedichtband, der in seiner Experimentierfreude teilweise etwas übermütig ist, aber alles in allem: frisch, kühn und lustvoll.
In die Wälder gehen, Holz für ein Bett klauen
- Seitenzahl:
- 96 Seiten
- Genre:
- Lyrik
- Verlag:
- kookbooks
- Bestellnummer:
- 978-3948336103
- Preis:
- 19,90 €