Martin Schlosser im "Schelmenroman" von Gerhard Henschel - ein Porträt?
Gerhard Henschel zieht mit Martin Schlosser nach Bad Bevensen. Alles nur Fiktion oder doch Faktengeschichte und eine Beschreibung seines eigenen Lebens?
Was hat Martin Schlosser nach Bad Bevensen verschlagen? Der Schriftsteller Gerhard Henschel, seit einem Jahr auch Träger des Kasseler Literaturpreises für grotesken Humor, ist Martin Schlosser seit langem auf der Spur. Als Verfasser eines Lebensweges, zeichnet er auch die Geschichte der Bundesrepublik nach. Stellt sich die Frage: Wie sehr ähnelt diese Chronologie dem Leben des Schriftstellers Gerhard Henschel? Alexander Solloch versucht das herauszufinden, hat Gerhard Henschel zuhause, im Osten der Lüneburger Heide, in seiner Schreibwerkstatt in Bad Bevensen besucht. Im Gespräch lotet er aus, wieviel von der Chronik ist das Leben von Martin Schlosser, wie viel ist das Leben Gerhard Henschel? Was in seinem jüngst erschienen Buch "Schelmenroman" ist Autobiografie und was ist fantasiereiche Fiktion?
Sie haben sich vorgenommen das Leben Martin Schlossers aufzuschreiben, in gewisser Weise ähnelt der auch dem Lebensweg von Ihnen. Was hat Sie oder Martin Schlosser nach Bad Bevensen verschlagen und nicht nach Berlin, München, Hamburg, Frankfurt oder Hannover?
Gerhard Henschel: Dieses Leben muss gar nicht so fürchterlich ereignisreich sein. Wenn Sie meinen Jugendroman lesen, werden Sie feststellen, dass der ungefähr 550 Seiten lang ist und von bleierner Langeweile handelt, als Martin Schlosser in Meppen zur Schule geht.
Also wichtig ist nicht das Spektakel, was jeden Tag passiert, sondern wichtig ist das Spektakel im Kopf der Hauptfigur, von dem erzählt wird?
Henschel: Ich schiebe in der Regel eine sehr ruhige Kugel, das ist wohl wahr.
Nun steht auf dem Klappentext zu diesem neuen Roman, "Schelmenroman", Gerhard Henschel ist 1962 geboren, er veröffentlicht seit Ende der 1980er-Jahre Satiren, Kurzprosa, Romane sowie Sachbücher. Er lebt bei Hamburg. Dabei ist Hamburg immer noch ungefähr 80 Kilometer entfernt. Was bedeutet diese Bad Bevensen-Vergrämung?
Henschel: Na ja, eine Zeit lang dachte ich, es sei vielleicht sicherer, dass der russische Geheimdienst mich nicht so leicht findet.
Versuchen wir uns dem Phänomen des Henschelschen Schreibens, dem Phänomen der Martin-Schlosser-Chronik ganz sachlich und vernunftbetont zu nähern. Stand die ganze Kühnheit dieses Projekts fest, dass Sie so lange aus dem Leben des Martin Schlossers schreiben, bis es nichts mehr zu beschreiben gibt? War das von Anfang an der Plan, sich so nah wie möglich an die Gegenwart heranzupirschen?
Henschel: Nein, durchaus nicht. Ich hatte nur vor, einen Kindheitsroman zu schreiben, der sollte 1975 enden. Da ist Martin Schlosser 13 Jahre alt, und die Familie zieht vom Rheinland ins Emsland nach Meppen. Später hatte ich die Idee, noch einen weiteren Roman zu schreiben, den Jugendroman. In dem wollte ich Martin Schlosser bis zum Abitur führen, und dann sollte es gut sein. Aber nach mehr als 500 Seiten ging er noch immer ins zehnte Schuljahr. Dann wollte ich noch einen dritten Band anhängen, und zwar bis zum Abitur. Aber nach 500 Seiten ging er immer noch in die zwölfte Klasse. Mittlerweile hatte ich so viel Vergnügen an der Arbeit gewonnen, dass ich gerne weitermachen wollte. Also ich bin eigentlich dazu gekommen wie die Jungfrau zum Kinde.
Das Gespräch führte Alexander Solloch.