"Schelmenroman": Die glücklichen Jahre des Martin Schlosser
Regelmäßig legt Gerhard Henschel einen neuen Band seiner Martin-Schlosser-Chronik vor, eine getreuliche Nacherzählung seines eigenen Lebens. Vor Kurzem ist Band zehn des Zyklus erschienen: der "Schelmenroman".
Dies sind die glücklichen Jahre im Leben des Martin Schlosser, vielleicht seine glücklichsten überhaupt. Auf einmal ist alles so leicht, nachdem das Leben bislang doch eher Langeweile und Mühsal bereitgehalten hat, wie Schlossers Schöpfer, oder besser: sein reales Ich, Gerhard Henschel, referiert:
Der Erzähler dieser Romane, Martin Schlosser, ist Jahrgang 1962, in Hannover geboren, dann am Deutschen Eck aufgewachsen und später in Meppen, wo er auch Abitur gemacht hat. Nach dem Zivildienst hat er studiert: Germanistik, Soziologie und Philosophie, also die klassischen Loser-Fächer, und 1986 sein Studium abgebrochen, um freier Schriftsteller zu werden, davon handelt dann der "Künstlerroman". Da dieser Traum aber nicht gleich in Erfüllung geht, folgt darauf der "Arbeiterroman", in dem Martin Schlosser sich als Hilfsarbeiter verdingt. Später geht's dann etwas aufwärts … Leseprobe
Und zwar geradewegs ins Paradies. Man ahnt schon, der Aufenthalt darin ist zeitlich eng begrenzt, aber Martin Schlosser zögert nicht, ihn ganz und gar auszukosten.
Viele Details und jede Menge Quatsch
Es ist 1994, Schlosser ist gerade Mitglied der Redaktion des Satiremagazins "Titanic" geworden, erste Buchprojekte lassen sich vielversprechend an. Schlosser, noch in Frankfurt, bald schon in Göttingen wohnhaft, reist durchs Land, gibt Lesungen, hat in jedem Hafen eine andere Braut und auch sonst mit fabelhaften Menschen zu tun: Max Goldt, Fanny Müller, Thomas Gsella, Wiglaf Droste, Harry Rowohlt - was kann einer mehr wollen vom Leben?
Da das Leben aber keinen roten Faden aufweist, hat dieser Roman im Grunde auch keinen. So wie man als Martin-Schlosser-Neueinsteiger mit jedem beliebigen Band der Chronik anfangen kann, so kann man diesen dann auch an jeder beliebigen Stelle aufschlagen - man findet immer sofort hinein, hat immer sofort Spaß an der Detailgenauigkeit des Erzählers, an den vielen Identifikationsangeboten für Leser, die diese Zeit auch erlebt haben, vor allem natürlich: am Quatsch, den sich Schlosser und seine Kumpanen in diesem "Schelmenroman" so ausdenken, zum Beispiel die Mahnwache an der DFB-Zentrale in Frankfurt, mit der erreicht werden soll, dass nicht Stefan Effenberg für die bevorstehende WM nominiert wird, sondern ein anderer Spieler:
Es ging auf zwölf Uhr zu. Da sich nichts Neues tat, packten die Journalisten ihr Equipment wieder ein und hielten erst inne, als auf einmal doch noch ein DFB-Funktionär aus der Zentrale herauslief und uns anblaffte: "Was geht hier vor?"
Dicklich war er, und er bebte vor Zorn.
Dies sei eine Demonstration der Titanic zugunsten der Nominierung Bernd Schusters für den deutschen WM-Kader, sagte Thomas.
"Wenn Sie sich nicht sofort entfernen, müssen wir die Polizei rufen. Dies ist ein Privatgrundstück!"
"Sie müssen aber berücksichtigen, dass es nicht nur das Eigentumsrecht gibt, sondern auch das Recht auf zivilen Ungehorsam", sagte Oliver, und Jürgen legte nach: "Außerdem treten wir für etwas ein, dessen Berechtigung kein Sachverständiger abstreiten kann."
Leseprobe
"Die Romane entsprechen meinem eigenen Leben zu ungefähr 120 Prozent"
Bernd Schuster, der natürlich trotzdem nicht nominiert wurde, hat sich später sehr anerkennend über dieses Schelmenstück geäußert, eines von unzähligen größeren und kleineren, die dieser Roman ausbreitet. Ob es überhaupt einer ist - das sollen Literaturtheoretiker beantworten. Auf entsprechende läppische Fragen - was ist wahr, was erfunden? - erhält man von Gerhard Henschel verdientermaßen läppische Antworten: "Ja, die Literatur entspricht natürlich nie hundertprozentig dem Leben. In diesem Falle würde ich sagen, die Romane entsprechen meinem eigenen Leben zu ungefähr 120 Prozent. Da können Sie sich jetzt bei denken, was Sie wollen."
Martin Schlosser, der noch junge Mann, denkt sich: "Primadobel" möge der Mensch leben als sterbliches Wesen in einem absurden Universum, "primadobel" und frei von jeglicher Erdenschwere. Wer das liest, hat auf jeden Fall eine primadoble Zeit.
Schelmenroman
- Seitenzahl:
- 608 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Hoffmann und Campe
- Bestellnummer:
- 978-3-455-01664-2
- Preis:
- 26 €