Marina Münkler: Geschichte als Spiegel unserer Zeit
In die Welt des 16. Jahrhunderts einzutauchen mit dem Wissen, das wir heute haben, ist gar nicht so einfach. Auch Kulturhistorikerin Marina Münkler kann das nicht komplett ausschalten, dennoch gibt es in ihren Veröffentlichungen interessante Perspektiven.
Neue Imperien, die Expansion des Osmanischen Reiches, Glaubenskriege, Konfessionsspaltungen, umkämpfte Handelsrouten. Die frühe Neuzeit lebte von dramatischen Augenzeugenberichten und Erzählungen. Marina Münkler lehrt an der TU Dresden Ältere und frühneuzeitliche Literatur und Kultur. In ihrem neuen Buch "Anbruch der neuen Zeit" porträtiert sie das 16. Jahrhundert und zeichnet die Konfliktlinien dieser Zeit nach. Sie charakterisiert die Frühe Neuzeit als "eine durch und durch dramatische Epoche". Nicht ohne Aufdeckung und kritisches Hinterfragen von Illusionen und Visionen.
Wenn man sich aus heutiger Sicht die Entwicklungen und Entdeckungen anschaut, ist es als Autorin, die sich mit der Welt des 16. Jahrhunderts auskennt, manchmal schwer, die Weltsicht der Menschen damals zu verstehen? Wie schaltet man als Historikerin und Literaturwissenschaftlerin in der Arbeit an seinem Buch unser heutiges Wissen aus, um wirklich in die Welt einzutauchen?
Marina Münkler: Das kann man nie ganz vollständig ausschalten. Man hat immer ein Wissen, das einen trägt und das die Perspektive, unter der man das sieht, durchaus bestimmt. Aber man versucht natürlich deren Eigenlogiken zu verstehen, zu verstehen, wie die Menschen gedacht haben und was es ihnen ermöglicht hat. Kolumbus könnte man als einen Zyniker beschreiben. Aber ich glaube, dann geht man fehl. Er war ein sehr frommer Mann. Frömmigkeit hat aber zu diesem Zeitpunkt nicht verhindert, dass man der Meinung war, man könnte anderen Menschen ihren Besitz wegnehmen, weil sie ihn angeblich nicht wirklich besitzen und sie keine Herrschaft ausüben. Das sieht man sehr genau, wenn man seine Beschreibungen liest.
Legitime Inbesitznahme: Normal bei Kolumbus, heute undenkbar
Die erste Insel, auf die Kolumbus kommt, ist Guanahani. Er tauft sie nach dem Erlöser San Salvador. Man kann seinen Blick dabei sehr gut beobachten. Erst sieht er nackte Menschen, dann stellt er fest, sie sind schön, haben keine Waffen, kennen offenbar keine Metalle und haben Gold. Man sieht sehr deutlich, wie er auf sie schaut und zu der Überzeugung gelangt, hier wäre legitime Inbesitznahme möglich. Dieser Aspekt der Selbstlegitimation von Handlungen, den muss man immer mitdenken, und man muss versuchen, sie aus der Zeit heraus zu verstehen.
Prozesse der Bekehrung und des Verstehens
Andererseits kann man in der Zeit auch sehen, dass ihm das keineswegs alle abgenommen haben. Gerade dann, wenn die Eroberung der Neuen Welt beginnt, aber schon mit dem, was auf den Inseln passiert. Zu den frühen Europäern, die dahin kommen, gehört Bartolomé de Las Casas. Der versteht sehr schnell, dass diese Art, mit Menschen umzugehen, nicht legitim sein kann und auch nicht christlich ist. Er kommt zunächst als jemand, der Land in Besitz nehmen will und er bekehrt sich dann. Auch das ist spannend. Diese Prozesse der Bekehrung und des Verstehens, dass es ein Ringen darum gibt, was Menschen tun dürfen und was sie nicht tun dürfen.
Das Gespräch führte Martina Kothe.