Lothar Schirmer: 50. Verlagsjubiläum Schirmer/Mosel
Verleger Lothar Schirmer spricht über die Kunst des Sehens und warum es für ihn immer so wichtig war, in direkten Kontakt mit Kunstschaffenden zu treten. Das hat seine Sicht auf die Kunst verändert, verrät er im Interview.
Es sind die besonderen Bücher: Kunst, Literatur, Foto, Mode oder Glamour. Lothar Schirmer hat das Gespür für Themen, Eleganz, Stil, und Attitude. In seinem Verlag fanden große Namen ein verlegerisches Zuhause: Gerhard Richter, Joseph Beuys, Cy Twombly, Edward Hopper. Museen und Sammlungen vertrauten sich ihm an, auch Fotografen wie Peter Lindbergh, August Sander oder Barbara Klemm. Und natürlich auch Schriftsteller wie Cees Nooteboom, Hans Magnus Enzensberger, Peter Handke oder Michael Krüger.
All seine Bücher bilden das "Hintergrundrauschen" einer 50-jährigen Verlags- und Berufstätigkeit. Wie das klingt, erzählt Lothar Schirmer in NDR Kultur à la carte.
Sie haben davon erzählt, dass Sie die Kunst des Sehens gelernt haben. Ich fand das deshalb interessant, weil Sie später in direkten Kontakt mit den Künstlern getreten sind, die Sie interessiert haben. Ich kann mir vorstellen, dass diese Kunst des Sehens auch noch mal immens erweitert wird, wenn man mit den Kunstschaffenden über Kunst spricht, oder?
Lothar Schirmer: Das war eine grundlegende Erfahrung, dass man bis zu einem gewissen Punkt ins Museum geht oder Kunstzeitschriften oder Bücher liest, dass man auf sich alleine gestellt ist und im Prinzip eine Art von Sekundärliteratur betrachtet. Dann sind die Bilder vielleicht ein bisschen anders, aber wenn man sich die richtigen Anleitungen aus den vielen autodidaktischen Möglichkeiten heraussucht, dann kommt man dahin. Es ist natürlich klar, wenn man das im direkten Kontakt zu den Menschen, die das hervorbringen, überprüft. Dann machen sich ganz neue Welten auf. Vor allen Dingen wird die Sache auf eine unglaubliche Art und Weise glaubwürdig.
Verändert das persönliche Treffen auf Künstler den Blick auf die Werke?
Schirmer: Die Menschen, die ich getroffen und aufgesucht habe, waren mit Bedacht ausgesucht. Ich muss sagen, wenn man Joseph Beuys zum Beispiel, der relativ umtriebig war, nachdem er ganz zurückhaltend gelebt und gearbeitet hatte, persönlich kennenlernt, dann hatte man in Sekundenschnelle den Eindruck, dass man es mit einem sehr ernsthaften Menschen zu tun hatte. Die Künstler haben sich außerdem sehr viele Gedanken über das gemacht, was sie taten. Sie konnten durch kein Geld der Welt bewegt werden, etwas zu tun, was sie nicht tun wollten. Sie waren im weitesten Sinne absolut selbstbestimmt. Dieser bürgerliche Verdacht, dass es sich um Scharlatane, Betrüger, oder um Leute handeln könnte, die etwas taten, weil man es selbst nicht verstand, löste sich auf. Wenn man diesen Verdacht hatte, waren immer ungeklärte Fragen da. Im Gespräch löste sich das ganz schnell in logische und sogar akademische Überlegungen auf. Das war am Ende die Offenbarung, würde ich sagen. Was man da gesehen hat, waren immer Sachen, die man ganz spontan verstanden hat, oder eben auch nicht.
Wie wird man Verleger?
Schirmer: Ich hatte gemerkt, dass man, um solche Gespräche sinnvoll zu führen, irgendeinen triftigen Grund brauchen würde. Dann habe ich gedacht, wenn jetzt ein Käufer oder ein Kunsthändler kommt, dann höre ich mir das alles an und widme ihnen die Zeit. Aber wenn man keine berufliche Verbindung hat, dann ist das sehr viel schwieriger. Wenn ich jetzt die Bildungsarbeit weitermachen will, brauche ich einen Beruf, der mich in der Umlaufbahn hält. Wir wissen, wie das ist, wenn man Abitur macht: Die Leute kommen vom Arbeitsamt und empfehlen alle möglichen Sachen. Nur wie man Pelz-, Diamanten-, Kunsthändler oder Verleger wird, das erzählen sie einem nicht. Dann soll man eher Arzt werden, doch da sind die Zeugnisse vielleicht nicht gut genug. Am Ende landet man doch wieder bei der Betriebswirtschaft.
Das Gespräch führte Martina Kothe.