"Lesend öffnen wir das Zeitfenster": Arno Geiger über historische Romane
Im Interview spricht Arno Geiger über die Faszination der Menschen für historische Romane und Karl V., den Protagonisten seines neuen Werks "Reise nach Laredo".
Historische Romane sind eine ganz eigene literarische Gattung, die es immer wieder schafft, Leserinnen und Leser zu begeistern. Ein Klassiker des Genres ist der Bestseller "Der Name der Rose" von Umberto Eco. Nora Bossong steht mit ihrem neuen Roman "Reichskanzlerplatz" auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis. Arno Geiger, der diesen Preis schon einmal gewonnen hat, führt uns mit seinem neuen Buch "Reise nach Laredo" ins 16. Jahrhundert, in die letzte Lebensphase von Kaiser Karl V.
Herr Geiger, wann haben Sie denn als Leser das erste Mal mit historischen Romanen zu tun gehabt?
Arno Geiger: Ich glaube, früh, mit zwölf vielleicht. Ich war ein regelmäßiger Besucher der Gemeindebibliothek. Die hinkte im Angebot ziemlich hinterher, mit viel Literatur des 19. Jahrhunderts. Viele Abenteuerromane sind auch historische Romane, wie "Die drei Musketiere" oder in gewisser Weise "Der Glöckner von Notre Dame".
Man kann den historischen Roman auf unterschiedlichen Ebenen lesen - und als Kind hat mich mehr der Abenteuerroman angesprochen. Ich erinnere mich auch, dass ich "Ein Kampf um Rom" von Felix Dahn gelesen habe. Dahn ist ein in Hamburg geborener Autor, der sehr leidenschaftlich mit Totila, dem Gotenkönig, verbunden war.
Was denken Sie denn heute, was an dem Genre so faszinierend ist?
Geiger: Ich könnte mir vorstellen, dass Menschen, die lesen, sich schon auch selbst in größeren historischen Zusammenhängen sehen. Lesend öffnen wir das Zeitfenster, in das wir blicken. Es gibt natürlich sehr unterschiedliche historische Romane. Aber viele machen Geschichte oder historische Ereignisse emotional erlebbar. Es wird dramatisch zugespitzt - das spricht auch das Gefühl an. Vielleicht gilt: Je weiter entfernt eine historische Epoche ist, desto mehr darf man zuspitzen.
Sie führen uns mit Ihrem neuen Roman "Reise nach Laredo" ins 16. Jahrhundert. Darin kommt die historische Figur Karl V. vor. Wodurch wurde Ihnen klar, dass Sie ihn in einen Roman-Protagonisten verwandeln wollen?
Geiger: Bei mir ist das so: Wenn ich über etwas schreibe, hat das mehr mit mir als dem Gegenstand zu tun. Ich bin auf ihn gestoßen durch eine kleine Bemerkung in einem Feuilleton von Matthias Claudius. Und ich wusste gar nicht, dass Karl V. zurückgetreten ist. Er hat diese schweren Kronen, die deutsch-römische Kaiserkrone und die spanische Königskrone abgelegt und sich zurückgezogen, um sich mit sich selbst auseinanderzusetzen, um ins Reine zu kommen mit sich. Er war also in gewisser Weise auf der Suche nach der eigenen Person.
Ich finde das sehr mutig. Die Menschen klammern sich an geringere Erdendinge als Kaiserkronen und können trotzdem nicht loslassen. Offenbar beschäftigt mich das emotional als Mensch, so ganz grundsätzlich: Wer bin ich, ohne Glanz? Gibt es keine Alternativen zu dem, wo ich jetzt gelandet bin? Will ich ewig so weitermachen? Dann nehme ich mir diesen Menschen, der vor 500 Jahren gelebt hat, und er ist mir Inspiration für etwas, das mir wichtig ist.
Das Gesrpräch führte Friederike Westerhaus.