Buch-Cover: "Reise nach Laredo" von Arno Geiger © Hanser
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AUDIO: Neue Bücher: "Reise nach Laredo" von Arno Geiger (5 Min)

Arno Geigers "Reise nach Laredo": Ein König, der keiner mehr sein wollte

Stand: 23.08.2024 06:00 Uhr

Arno Geigers neuer Roman handelt von Karl V., der im 16. Jahrhundert lebte. Man kann "Reise nach Laredo" einen historischen Roman nennen, aber das Herz dieses Buchs schlägt zeitlos.

von Judith Heitkamp, BR

Karl, Carlos, Charles V. , Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, ein Habsburger, bei dem gleich vier Erbreiche zusammenkamen, katholischer Führer des Abendlandes zwischen Osmanen-Kriegen und Reformation - dieser Karl interessiert Arno Geiger nicht. Oder jedenfalls nur als Vorleben des Menschen, der schließlich diese seine höchste Position freiwillig aufgab. Was dann? 1556 zog Karl V. sich von seinen Ämtern in ein Kloster im spanischen Cuacas de Yuste zurück. Und dort treffen wir ihn als die zentrale Figur in "Reise nach Laredo": einen ausgelaugten, mürrischen, von sieben Krankheiten zerfressenen und einsamen alten Mann, der kein König mehr ist.

Er erkennt nur, dass er nichts Wichtiges über sich weiß und dass wenig Zeit bleibt, dahinterzukommen. Manchmal meint er, das Königtum habe ihn verbraucht und besitze weiterhin alle Macht, und er selbst ist abgereist nach Yuste als leerer Knochen. Leseprobe

"Das ist mein Karl", sagt Arno Geiger. "Er ist einerseits König mit dieser Machtfülle, aber als eigentlich bescheidener, innerlicher Mensch ordnet er sich diesen Ämtern unter und die Person kommt zu kurz. Und dann sagt er: Schluss, ich mag nicht mehr. Ich lege die Kronen nieder, Das sind schwere Kronen, die er da vom Kopf herunternimmt."

Arno Geiger schreibt vom Loslassen

Das Loslassen, das Zurücktreten, die Frage, was danach noch kommen kann. Tizian, Karls Hofmaler, von dem mehrere Porträts des Kaisers existieren, hat seine eigene Weisheit dazu, die er seinem Herrscher bei einer Porträt-Sitzung mitgibt: Der letzte Pinselstrich, meint Geigers Tizian, sei eigentlich immer überflüssig. Er ist dem Autor da sehr nahe: "Als Künstler muss man loslassen können. Ich bin kein Freund des Überarbeitens. Ich schreibe die Bücher schnell, in einem brachialen, künstlerischen Akt, lese mir das ein-, zweimal durch, mache dann noch diese zwei, drei Pinselstriche, aber dann ist das Aufhören wichtig, um die Lebendigkeit des Geschaffenen zu bewahren."

Flucht in die Freiheit

Daraus ensteht die Chance für das Neue. Arno Geiger lässt den 58-jährigen, todgeweihten Karl, um den sein Hofstaat nur noch abwartend herumschleicht, eines Nachts die Flucht ergreifen. Das ist zwar medizinisch völlig unplausibel und beim Lesen wird man lange im Ungewissen gelassen über den Charakter dieses Ausbruchs, aber am Ende ist der auch ganz unwichtig. Wichtig ist die Freiheit, die Geiger dem pflichtverknöcherten Karl zuwachsen lässt. Gemeinsam mit dem elfjährigen Geronimo, der nicht weiß, dass er ein illegitimer Sohn des Alten ist, schickt er ihn ins Abenteuer, in gefährliche Schlägereien und brutale Gegenden. Sie retten zwei Unschuldige, erreichen die tote Stadt, finden eine unheimliche Herberge und ein Wundertier, bis sie schließlich ans Meer kommen. "Das ist ein schöner Kontrast: dieser Mann, der immer an Vergangenheit und Zukunft denken muss, und dieser Elfjährige, der sich jeden Morgen freut auf das, was der Tag bringt."

Karl sagt sich: So war ich nie, so frei, so unabhängig. Vielleicht könnt ich's jetzt, für einige Augenblicke, für drei Tage, das wäre immerhin etwas. Kann man Unbeschwertheit lernen? Wird man so geboren? (...) Wäre das gut? Will ich tanzen oder kotzen? Leseprobe

"Reise nach Laredo": Ein sehr persönliches Buch von Arno Geiger

Arno Geiger beantwortet diese Frage im Roman mit: "Ja! Tanzen!, - und Kotzen auch". Nicht der Rückzug in Kontemplation und Selbstbefragung, den Karls Beichtvater ihm nahe legt, hilft dem König ohne Krone weiter mit sich selbst - es ist die Begegnung mit der Welt. Das macht die "Reise nach Laredo" erneut zu einem sehr persönlichen Buch dieses ungewöhnlichen Autors. Man kann das einen historischen Roman nennen, denn er ist fraglos im 16. Jahrhundert verortet, historische Figuren treten auf, und Tizians Gemälde lassen sich im Museum anschauen. Aber das Herz dieses Buchs schlägt zeitlos.

Reise nach Laredo

von Arno Geiger
Seitenzahl:
272 Seiten
Genre:
Roman
Verlag:
Hanser
Bestellnummer:
978-3-446-28118-9
Preis:
26 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Neue Bücher | 23.08.2024 | 12:40 Uhr

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Romane

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