Leonardo da Vinci - Gemälde des Universalgenies in einem Band
Mit einer Flut von Büchern zum 500. Todestag feierten Leonardo-Forscher 2019 weltweit das "Universalgenie" Leonardo Da Vinci. Eines davon war der fabelhafte Bildband "Leonardo da Vinci - Die Gemälde" des Kunsthistorikers Alessandro Vezzosi.
Als Historiker neigt Volker Reinhardt eher zu wissenschaftlicher Nüchternheit. Aber wenn es um Leonardo geht, greift der Renaissance-Experte zu Superlativen: Er nannte den Künstler "die ungewöhnlichste, eigenständigste, querdenkendste, aus dem Rahmen fallendste Gestalt der europäischen Kulturgeschichte". Reinhardt ist nicht der Einzige, der ins Schwärmen gerät.
Einer der renommiertesten von ihnen ist Alessandro Vezzosi. Der italienische Kunsthistoriker und Gründer des "Museo Ideale da Leonardo da Vinci" nimmt in seinem Bildband die wenigen Gemälde des Künstlers buchstäblich "unter die Lupe". Sein Buch wartet nicht nur mit neuen Forschungsergebnissen auf, es ist auch wunderschön gestaltet.
Rätselhafte und mehrdeutige Bilder
Eines der Gemälde zeigt Johannes den Täufer als bildschönen Jüngling. Wie eine Erscheinung tritt er aus dem Dunkel hervor. Warmes Licht fällt auf seinen nackten Oberkörper und die Korkenzieherlocken, die das feminine Gesicht umrahmen. Während er verführerisch den Kopf zur Seite legt, weist er mit dem rechten Zeigefinger gen Himmel.
Lächelt so ein Heiliger? Oder eher ein Mensch aus Fleisch und Blut? 500 Jahre nach Leonardos Tod bleiben seine Bilder rätselhaft und mehrdeutig, meint der Kunsthistoriker Alessandro Vezzosi: "Das geheimnisvolle süße Lächeln des jugendlichen Täufers scheint (…) zwischen christlicher Liebe und heidnischem Eros zu changieren. Auch die Position der Hände - die linke an das menschliche Herz gelegt, die rechte in himmlische Höhen weisend - bringt diesen Gegensatz sinnfällig zum Ausdruck."
Intensive Beschäftigung mit Leonardos wenigen Gemälden
In dem Bildband beschäftigt sich Vezzosi ausschließlich mit Leonardos Gemälden. Ein dünnes Buch, könnte man meinen. Schließlich gibt es nach heutigem Forschungsstand nicht einmal 20 Bilder, die dem Renaissance-Meister zugeschrieben werden. Umso intensiver widmet sich der Kunsthistoriker jedem einzelnen von ihnen.
Zu den frühesten Porträts, die Leonardo zugeschrieben werden, gehört das Bildnis der Bankierstochter Ginevra Benci. Sein einziges Gemälde einer Frau mit melancholischem Gesichtsausdruck. An einer Vergrößerung der Augenpartie erklärt Vezzosi, wie der Maler gearbeitet hat: "Die Vorzeichnung wird von einem Karton mittels Perforierung auf die Malfläche gepaust, die weichen Konturen durch die Überlagerung mehrerer Lasurschichten erreicht und hier und da mit den Fingern verwischt."
An den meisten Werken waren Gehilfen beteiligt
Beim Verwischen der Farben hat der Maler Spuren hinterlassen: Auf mehreren Gemälden konnten Forscher Leonardos Hand- und Fingerabdrücke nachweisen. Allerdings warnt Vezzosi: "Das Vorhandensein eines Fingerabdrucks von Leonardo macht ein Tafelbild von dessen Schüler Giampietrino (…) noch lange nicht zu einem Werk des Meisters selbst."
Ohnehin waren an den meisten Bildern Leonardos Gehilfen beteiligt. Zum einen, weil der Künstler, Innovator und Erfinder von einem Projekt zum nächsten eilte und vieles unvollendet ließ. Zum anderen, weil Arbeitsteilung in den Werkstätten der Renaissance gängige Praxis war. Der Meister lieferte den Entwurf, malte vielleicht noch schwierige Partien wie Hände und Gesichter, und überließ es seinen Schülern, das Werk zu vollenden. Immerhin belegen Quellen, dass der Perfektionist Leonardo Gemälde überarbeitete, bevor sie das Haus verließen.
Zweifel an der Autorenschaft führt zu spannenden Fragen
Der Kunsthistoriker Vezzosi plädiert dafür, offen mit Zweifeln an der Autorenschaft umzugehen. Auch in den großen Museen: "Dem Kunstmarkt schmeckt das Attribut 'zugeschrieben' gar nicht, denn es kratzt am Wert (…) eines Werks. Für eine korrekte kunstwissenschaftliche Einordnung ist der Begriff jedoch unverzichtbar.
Dass nicht jeder Pinselstrich vom Meister selbst stammt, mindert die Freude an dem neuen Prachtband nicht im Geringsten. Im Gegenteil: Wie die Künstlerwerkstatt funktioniert hat und warum eine Figur Leonardo zugeschrieben wird oder nicht, sind hochspannende Fragen.
Vor allem aber besticht das Buch durch ganzseitige Detailvergrößerungen. Selten konnte man die Perfektion der Malerei aus solcher Nähe bewundern: Die durchscheinende Tönung der Haut, das Licht, das sich in den Haaren fängt, die winzigen Farbsprenkel in der Iris der Dargestellten: Alles zielt darauf, den Funken einzufangen, der aus gemalten Männern und Frauen lebendige Menschen macht.
Leonardo da Vinci - Die Gemälde
- Seitenzahl:
- 288 Seiten
- Genre:
- Bildband
- Zusatzinfo:
- Hardcover mit Schutzumschlag, 24,5x34, 230 farbige Abbildungen
- Verlag:
- Prestel
- Bestellnummer:
- 978-3-7913-8496-2
- Preis:
- 69,00 €