Kann man gerne alleine leben?
Das Alleinleben wird häufig als Makel wahrgenommen. Die Autorin Katja Kullmann schildert im Philosophie-Podcast Tee mit Warum, welche Vorteile das Leben alleine hat.
Fast 20 Millionen Menschen in Deutschland leben allein. Dennoch wird das Leben alleine häufig als unvollständig wahrgenommen. Dass das Leben alleine aber auch viele Vorteile hat, zeigt Autorin Katja Kullmann in ihrem Buch "Die Singuläre Frau". Im Philosophie-Podcast Tee mit Warum spricht sie über die Vor- und Nachteile des Alleinlebens. Einen Auszug davon lesen Sie hier, die ganze Folge finden Sie in der ARD Audiothek und auf allen Podcast-Plattformen.
Warum schätzt du das Alleinleben?
Kullmann: Bis ich 35 war, war ich eigentlich immer seriell monogam - also fest verbandelt mit jeweils einer Person. Mit 35 ging dann eine lange Beziehung zu Ende und ich habe eine Pause ersehnt, bevor ich dann vielleicht noch mal etwas Festes angehe. Das ist jetzt 15 Jahre her - immer wieder mit kurzen Geschichten und Zweisamkeit dazwischen - aber eigentlich habe ich über die Zeit angefangen, das Alleinsein wertzuschätzen. Es gibt im Englischen den Begriff "Social Aloner". Ich habe das mal als "gesellige Einzelgängerin" übersetzt. Das findet sich auch bei vielen anderen Frauen, deren Texte und Lieder ich studiert habe. Dieses gute Alleinleben, was man eben nicht als defizitär begreift, sondern als vielfältig ausgestattet. Das hat mit sich besinnen, Dinge für sich genießen, sich konzentrieren können zu tun. Aber eben auch verschiedenen nahe und fernere Freundschaften oder Bekanntschaften zu haben.
Ein ganz wichtiger Punkt ist für mich die Zufallszwischenmenschlichkeit. Mein Kioskmann beispielsweise - es hat sich also über die Jahre eine Art Band entwickelt. Wenn ich mal ganz abgehalftert mit Augenringen aussehe, fragt er mich was los ist. Umgekehrt frage ich ihn, was bei ihm in der Familie passiert, wenn er ein bisschen fertig oder strahlend aussieht. Das ist natürlich keine Verbindung, die einen trägt, wenn man wirklich eine schwere Krankheit hat oder ganz große Probleme. Aber es ist trotzdem Teil dieser Ausstattung eines Alleinlebens. Jemand, der doch irgendwie mit auf einen aufpasst. Das mag oberflächlich wirken, aber es gibt doch ein gewisses Vermissen, wenn der andere länger nicht da ist.
In deinem Buch beschreibst du ein sehr grundsätzliches Verhältnis: Das Verhältnis zwischen Alleinsein und Zweisamsein - also die meist monogame Paarbeziehung. Bezieht sich das Alleinsein immer auf ein "nicht zweisam sein"?
Katja Kullmann: Im gesellschaftlichen Diskurs ist das ganz bestimmt so. Die Mehrheit der Bundesbürger*innen gilt als verpartnert. Aber der Anteil derjenigen, die eben keine Partnerschaft haben, wächst seit Jahren beständig. Das sind jetzt an die 20 Millionen, die keine feste Partnerschaft in irgendeiner Form unterhalten. Der Mainstream bindet sich an jeweils eine Person. Mainstream meine ich hier überhaupt nicht abwertend. Generell ist es mir ganz wichtig zu sagen: Das Leben ohne Partnerschaft halte ich nicht zwingend für das bessere oder das feministisch korrektere. Es hat genauso Höhen und Tiefen, Reichheit und Einsamkeit wie das gebundene Leben auch. Ich glaube, ich kann das ein bisschen beurteilen, weil ich beides lange Jahre ausprobiert habe. Es gibt aber eine gesellschaftliche Erwartungshaltung zu dieser engen Zweisamkeit. Die ist kulturell überprägt. Stichworte: bürgerliche Ehe, das romantische Ideal, ein Gegenüber zu finden.
Mit der Französischen Revolution kam dieses romantische Ideal auf, dass eine Person alles für einen sein sollte. Liebe und Leidenschaft, Begehren und Eifersucht - das gab es schon immer, das wissen wir aus der Antike. Gleichzeitig haben Leute ihr Leben in vorherigen Jahrhunderten einfach anders organisiert. Auch wenn sie mit jemandem Kinder bekommen haben oder jemanden geliebt haben, gab es immer so eine Art Sippschaft im Hintergrund - eine Dorfgemeinschaft oder auch die höfische Gesellschaft. Im Grunde knüpfe ich im Alleinleben an so prämoderne Lebensformen wieder an, in dem mein Kreis von Bezugspersonen größer geworden ist als in diesem Paarideal.
Speziell bei Frauen kommt, wenn sie alleine leben, eine gute Dosis Misogynie hinzu. Eine Art Vorstellung, die natürlichen Bedürfnisse einer Frau seien doch, dass sie fühlt, vermisst, begehrt, verführt und pflegt. Sind das nicht ihre natürlichen Anlagen? Was macht das arme Hascherl, wenn es niemanden hat, an dem es diese Gefühlswallungen ausüben kann. Das fängt dann an, mich zu ärgern. Weil allein lebende Männer grundsätzlich diese Vorbehalte gar nicht so um die Ohren gehauen bekommen.
Wenn heute immer mehr Menschen allein leben, ist es vielleicht ein Stück weit mehr normal Normalität geworden als vor 50 oder 100 Jahren. Hat sich da im Zeitverlauf etwas gewandelt?
Kullmann: Mein Buch ist ein sehr optimistisches Buch. Mir ging es darum, eine gewisse neue Selbstverständlichkeit zu schildern. Beginn des 20. Jahrhunderts sprach man im Wesentlichen von Junggesellinnen. Das waren so die ersten Studentinnen, aber auch Arbeiterinnen, die in die Städte kamen. Ein ganz ein neues Phänomen: die lebten plötzlich alleine. Zwischen den Weltkriegen gab es die sogenannten "Neue Frauen". Die kennt man aus Babylon Berlin, die ersten sogenannten Bürofräuleins, die Frau als Arbeitskraft, die ihr Geld selbst verdient, sich vergnügt. Das Flapper-Girl war wirklich eine Ikone - auch für gebundene Frauen. Die war sehr selbstbewusst.
Dann kamen die Nazis: Frauen zurück an den Herd, die deutsche Mutter. In der westdeutschen Gesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg ein sogenannter Männermangel. Viele Männer eben verstört, verwundet, verletzt in Gefangenschaft. Es war schwierig, einen Partner zu finden für viele Frauen, die schon über 30 waren. Dann wurde die alleinlebende Frau zur "ledigen", zu der Armen, die keinen abbekommen hat für den Trauschein. Es gab so ein restauratives Klima, wieder alte Rollenbilder. Sie war die Bemitleidete.
Der Single-Begriff stammt aus den späten Sechzigern, wo zum einen die Frauenbewegung aufbrach, die sexuelle Befreiung - das hatte dann sehr viel mit einer Vorstellung von Popkultur, Jugendlichkeit, Vergnügen, Promiskuität zu tun. Dieses spaßhafte Singlesein, Singlebörsen, Single-Partys gibt es auch heute noch. Aber ich glaube für viele ist das längst passé. Natürlich hat sich der Feminismus weiterentwickelt. Es gibt jetzt auch Männer, die anders über ihre Geschlechtlichkeit denken. Wir haben eine große queere Bewegung - von der Heteros unglaublich profitieren - die längst angefangen hat, das Zusammenleben anders zu hinterfragen. WG-Modelle neu zu entdecken und andere Arten von Solidaritäten zu schaffen.
Die Fragen stellten Denise M'Baye und Sebastian Friedrich im Philosophie-Podcast Tee mit Warum. Das komplette Gespräch können Sie in der ARD Audiothek und auf allen Podcast-Plattformen hören.