Mann und Frau sitzen am Tisch und trinken Tee. © NDR Foto: Christian Spielmann
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AUDIO: Bleiben oder frei sein? Mit Eva von Redecker und Blaise Pascal (42 Min)

"Bleibefreiheit": Eva von Redecker denkt Freiheit in die Zukunft

Stand: 21.09.2023 06:00 Uhr

Freiheit ist ein stark umkämpfter Begriff. Die Philosophin Eva von Redecker setzt sich in ihrem Buch "Bleibefreiheit" dafür ein, den Freiheitsbegriff nicht mehr räumlich, sondern zeitlich zu denken. Darüber spricht sie im Philosophie-Podcast Tee mit Warum mit Denise M'Baye und Sebastian Friedrich.

Der Begriff der Freiheit ist hart umkämpft. Wo endet die Freiheit des Einzelnen? Im klassisch liberalen Verständnis dort, wo die Freiheit der Anderen eingeschränkt wird. Doch in aufgeheizten gesellschaftlichen Debatten um Corona-Maßnahmen oder Klimaschutzmaßnahmen wie das Tempolimit wird wieder ein Freiheitsbegriff stark, der Freiheit im Grunde als die Freiheit des Einzelnen versteht, das zu tun, was er möchte. Eva von Redecker hat einen Freiheitsbegriff entwickelt, der mehr in die Zukunft denkt. Einen Auszug des Gespräch mit Eva von Redecker lesen Sie hier, das ganze Gespräch können Sie im Philosophie-Podcast Tee mit Warum hören.

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Mann und Frau sitzen am Tisch und trinken Tee. © NDR Foto: Christian Spielmann

Tee mit Warum: Bleiben oder frei sein? Mit Eva von Redecker und Blaise Pascal

Sebastian Friedrich und Denise M'Baye diskutieren mit der Philosophin Eva von Redecker über ihr neues Buch "Bleibefreiheit". extern

Der klassische liberale Freiheitsbegriff - Freiheit endet dort, wo die Freiheit anderer beschnitten wird - gerät unter Druck. Erleben wir momentan eine reaktionäre Entwicklung des Freiheitsbegriffs?

Eva von Redecker: Ich weiß nicht, ob das nur eine reaktionäre Entwicklung ist oder auch ein Zerschellen an den Problemen der Zeit. Das eine Bruchstück - die völlig von jeder Verantwortung losgelöste Freiheit, dieser Anspruch 'Ich kann tun, was immer ich will, selbst wenn dabei etwas kaputtgeht' - dreht frei. Losgekoppelt taugt das zu einem destruktiven, oft auch direkt rechtsradikalen Freiheitsverständnis. Wo man sich eigentlich nur noch jenseits der Schmerzgrenze - oft der Schmerzgrenze der Anderen - sich seiner Freiheit vergewissern kann.

Das liegt aber auch daran, dass wir vor einem solchen gesellschaftlichen Transformationsbedarf stehen. Wenn man in diesem klassisch liberalen Freiheitsverständnis - 'ich kann machen, was ich will, solange es nicht die Freiheit der anderen einschränkt' - denkt, bekommt man plötzlich so eine Art Schockstarre. Fast alles, was wir tun, betrifft auch die Freiheit der Anderen. Selbst das, was du isst oder wie du dich fortbewegst, betrifft alle auf dem Planeten lebenden Menschen noch für Hunderte von Jahren. Da gibt es so eine Art Überforderung, dass man vor lauter Verantwortung die Freiheit gar nicht mehr sieht. Wenn man gleich mit Vernunft, Opferbringen und Respekt argumentiert, dann ist das alles richtig, aber da entgleitet einem dann die Freiheit. Dann haben diejenigen, die mit Freiheit meinen, dass sie machen können, was ihnen in den Kopf kommt, leichtes Spiel.

Wie sieht dein Freiheitsbegriff aus?

Buchcover "Bleibefreiheit" von Eva von Redecker. © S. Fischer Verlag
Eva von Redeckers "Bleibefreiheit" ist im S. Fischer Verlag erschienen und kostet 22 Euro.

Von Redecker: Das Grundmodell, das ich in dem Buch aufbereite ist eine zeitliche Freiheit statt einer räumlichen. In dem Draufschauen auf diesen liberalen Freiheitsbegriff wurde mir klar, dass das eigentlich immer einem räumlichen Verständnis unterliegt. Man stellt sich alles wie ein Spielfeld von oben vor und fragt sich: Wie viel Bewegungsspielraum habe ich? Was kann ich machen? Wo sind die Anderen als Schranken meiner Bewegungsfreiheit, wo ich stoppen muss? Das ist aber ein ganz zeitloses Verständnis. Wenn man durch seine Bewegung im Jetzt seine Bewegungsmöglichkeit in der Zukunft untergräbt, dann bildet sich das gar nicht ab. Was einem dann im Weg steht, kann man nicht auf den Verlauf der Dinge zurückführen. Mit einem zeitlichen Verständnis kann man das viel besser bündeln. Das nicht sagt, frei bin ich, wenn ich möglichst viel Bewegungsspielraum habe. Sondern das sagt, frei bin ich, wenn ich erfüllte Lebenszeit habe - über die Dauer meiner endlichen Existenz hinweg. Mit einem zeitlich Verständnis kann man viel besser bündeln, was uns begehrenswert an der Freiheit erscheint.

Der erste Schritt im Nachdenken war dann dieses paradoxe Wort 'Bleibefreiheit". Dass man nicht nur frei ist, wenn man weg kann, und sich bewegen kann, sondern wenn man einen Ort hat, wo man nicht bedroht ist. Wo man Sicherheit hat, wo man weiß, dass die Bedingungen für die Freiheit stabil sind und man auch weiterhin frei sein kann. Das scheint ziemlich bedroht in einer Gegenwart, die von Klimakatastrophe, Kriegen und großen sozialen Ungleichheiten gezeichnet ist.

Ich (Sebastian Friedrich) habe dein Buch im Sommer gelesen und parallel dazu ein Buch über die DDR-Geschichte. Wenn man sich mit der DDR auseinandersetzt, fällt einem natürlich sofort der Begriff der Reisefreiheit ein. Steht die Reisefreiheit der Bleibefreiheit entgegen?

Von Redecker: Ich würde sagen, es ist eine Gefahr, sich zu sehr auf die Reisefreiheit zu versteifen. Die ist natürlich ein Problem in einem System, das seine Bürger eingesperrt hat. Aber in der jetzigen Welt ist das größere Problem das Aussperren und der Verlust der Orte, an die man reisen will. Wenn du zwar reisen darfst, aber es keinen Schnee mehr auf der Skipiste gibt, dann nützt dir das auch nichts. Die Bleibefreiheit verdient ihren Namen überhaupt nur, wenn sie die Reisefreiheit voraussetzt, denn sonst ist es ein Bleibezwang. Das Buch heißt ja nicht "Bleiben!", sondern "Bleibefreiheit". Ich will nicht die Reisefreiheit herauskatapultieren. Ich will mich nur der Situation entgegensetzen, wo man die Freiheit verkürzt und sich bloß auf die Reisefreiheit als Hauptmodell einschießt und vergisst, dass das Reisen eigentlich ganz nutzlos ist, wenn man nicht zurückkommen und bleiben kann.

Die Fragen stellten Denise M'Baye und Sebastian Friedrich. Das ganze Gespräch mit Eva von Redecker hören Sie im Philosophie-Podcast Tee mit Warum.

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