Quiet Quitting: Bloß eine Option für Besserverdienende
Wie wollen wir arbeiten? Aufgeteilt zwischen einem Brotberuf und einem ausfüllenden Hobby? Oder müssen wir Arbeit insgesamt neu definieren? Denise M'Baye und Sebastian Friedrich spüren dem Gedanken in der neuen Folge des Philosophie-Podcasts Tee mit Warum nach und sprechen mit der Soziologin Nicole Mayer-Ahuja.
Seit ein paar Jahren wird vermehrt über Leistungsdruck und Leistungserwartungen im Beruf diskutiert. Vor allem der jüngeren Generation wird vorgeworfen, eine nicht mehr so starke oder nicht mehr so umfassende Arbeitsmoral zu haben. In den Sozialen Medien versammeln sich unter Hashtags wie Quiet Quitting Menschen, die offensiv sagen, dass sie nicht nur für die Arbeit leben. Der TikToker Zaid Zeppelin hat den Begriff in die Welt gesetzt. Er definiert es so: "Du kündigst nicht deinen Job, arbeitest aber nicht mehr als dein Vertrag vorsieht. Arbeit ist nicht dein Leben, dein Wert als Mensch definiert sich nicht über deine Produktivität".
In den Sozialen Medien versammeln sich unter Hashtags wie Quiet Quitting oder Great Resignation Menschen, die offensiv sagen, dass sie nicht nur für die Arbeit leben. Ist das eine Form des Widerstandes?
Nicole Mayer-Ahuja: Ich denke schon, dass das eine Form von Widerstand ist. Allerdings muss man natürlich sehen, dass diese Art von Widerstand nur für bestimmte Beschäftigtengruppen machbar ist. Für ziemlich gut qualifizierte Beschäftigte, die auch hohe Stundenlöhne bekommen. Die dann sagen können: 'Ich bin zwar in einem Bereich tätig, in dem Vollzeitarbeit üblich ist, aber wenn ihr mich jetzt einstellen wollt, dann möchte ich nur 30 Stunden die Woche arbeiten'. Das ist für sehr gefragte Qualifikationsprofile eine echte Option, um Leistungsdruck zu begrenzen. In anderen Bereichen haben wir eine Kombination aus psychisch oder körperlich belastenden Arbeitsbedingungen und gleichzeitig so geringen Löhnen, so unsicheren Beschäftigungsverhältnissen, dass es für Arbeitende kaum möglich ist, diese Art von Widerstand zu leisten. 20 Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland sind im Moment im Niedriglohnsektor. Das sind Beschäftigte, die im Zweifelsfall zwei bis drei Jobs haben, die sehr viel mehr Erwerbsarbeit leisten als der Durchschnitt der Beschäftigten. Obwohl sie also am Ende des Arbeitstages mit Sicherheit sehr viel erschöpfter sind als Kollegen und Kolleginnen in vielen anderen Bereichen.
Ist diese Erschöpfung das Resultat objektiver Faktoren, die dazu geführt haben, dass die Arbeit heute anstrengender ist? Dass mehr erwartet wird, lässt sich das irgendwie messen?
Mayer-Ahuja: Man muss da auf verschiedene Indikatoren schauen. Der Deutsche Gewerkschaftsbund macht seit Jahren in regelmäßigen Abständen den Index "Gute Arbeit". Aus diesen Umfragen wissen wir zum Beispiel, dass das Gefühl mit seiner Arbeit nicht fertig zu werden, in sehr unterschiedlichen Beschäftigtengruppen sehr weit verbreitet ist. Da kann man auch sagen: Das ist jetzt ein individuelles Phänomen. Aber wenn es in der Ballung auftritt, kann man davon ausgehen, dass es etwas mit strukturellen Veränderungen zu tun hat. Viele Beschäftigte haben den Eindruck, dass sie - wenn sie von der Arbeit nach Hause kommen - zu kaputt sind, um sich noch um ihr Privatleben zu kümmern.
Wir wissen auch objektiv, wie sich Arbeitszeiten verändern. In Deutschland gibt es eine sehr große Anzahl von Arbeitsstunden, die über die vertragliche Arbeitszeit hinausgehen. Die letzte Umfrage, die ich da jetzt im Kopf habe, ist von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin: Da liegt die tatsächliche Arbeitszeit im Schnitt fast fünf Stunden über der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit. Das sind alles Hinweise darauf, dass der Druck in der Arbeit schon gewachsen ist.
Ich glaube, das hängt damit zusammen, dass auf der einen Seite in vielen Branchen wirklich Personalmangel herrscht. Das Unternehmen über die letzten Jahre Arbeitsplätze abgebaut haben und die einzelnen Beschäftigten diese Zusatzarbeit dann schultern müssen. Im Grunde also diesen Personalabbau ausgleichen müssen. Das andere Problem ist, dass wir in vielen Teilen der Arbeitswelt inzwischen andere Steuerungsformen haben. In denen wird den Beschäftigten nicht mehr von Vorgesetzten gesagt: 'Das ist deine detaillierte Arbeitsschrittfolge und die kontrolliere ich jetzt, indem ich mich hinter dich stelle'. Sondern es gibt Vorgaben: 'Bis zu dem und dem Zeitpunkt musst du dieses Projekt abgeschlossen haben'. Das führt zu massiver Mehrarbeit, zu Druck in Teamstrukturen, weil Kollegen und Kolleginnen sich dann gegenseitig anfangen zu kontrollieren.
Welche Rolle spielt Leistung? Und was bedeutet Leistung überhaupt?
Mayer-Ahuja: Das ist ein extrem schwer zu definierender Begriff, weil es sehr unterschiedliche Vorstellungen davon gibt. In einem traditionellen Verständnis ist Leistung relativ eng an dem Begriff der Mühsal dran. Die Leistung ist der Aufwand, den man treibt, um ein spezielles Ergebnis zu erzielen. Das hat mit der Zeit zu tun, die man investiert. Es hat aber auch etwas mit den Kompetenzen, mit der Qualifikation zu tun, die man braucht, um ein bestimmtes Ergebnis zu erzielen.
Dieser aufwandsbezogene Leistungsbegriff spielt traditionell eine große Rolle für die Arbeiter- und Arbeiterinnenbewegung. Wenn man Forderungen stellt, dass man einen fairen Lohn für ein faires Tagwerk will, steckt das da drin. Man bringt eine bestimmte Leistung und dafür möchte man eine Gegenleistung haben - zum Beispiel in Geld bemessen. Was wir in den letzten Jahrzehnten gesehen haben, ist eine Umwertung des Leistungsbegriffes, der viel stärker auf das Ergebnis abzielt. Im Grunde genommen wird Arbeitenden die Nachricht gesendet: Der Aufwand, den du treibst, die Anstrengung, die du in die Arbeit steckst, ist nicht so relevant wie das, was am Ende rauskommt. Wir wollen sehen, ob sich das, was du produzierst, am Markt verkaufen lässt. Wenn das Ergebnis positiv ist und vom Markt gut bewertet wird, dann musst du wohl Leistungsträger oder Leistungsträgerin sein und auch entsprechend behandelt werden.
Das ist ein Problem in vielen Bereichen der Arbeitswelt. Mit der Feststellung, dass sich ein bestimmtes Produkt nicht mehr so gut verkauft, werden auch die Ansprüche der Arbeitenden in Frage gestellt: einen bestimmten Lohn zu bekommen, eine bestimmte Art von Arbeitsvertrag zu haben, bestimmte Arbeitsbedingungen zu haben. Das ist eine Umwertung, die man gut datieren kann: auf die Zeit von Helmut Kohl, der Anfang der 80er-Jahre unter anderem mit dem Slogan angetreten ist: "Leistung muss sich wieder lohnen". Was er damit meinte, war eben diese Ergebnisorientierung, die für die arbeitende Bevölkerung keine gute Nachricht war. Zumal mit diesem "Leistung muss sich wieder lohnen"-Slogan eben ein massiver Abbau von sozialen Rechten, von Steuersenkungen, Rückbau des öffentlichen Dienstes verbunden war, der dazu geführt hat, dass sich für viele abhängig Beschäftigte Leistung faktisch immer weniger gelohnt hat.
Die Fragen stellte Sebastian Friedrich im Philosophie-Podcast Tee mit Warum.