Ken Loach über sein Sozialdrama "Sorry We Missed You"
Ken Loach hat die wichtigsten Preise der Filmbranche gewonnen und wurde für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Der britische Regisseur denkt mit seinen 87 Jahren und nach 50-jähriger Filmkarriere noch lange nicht an den Ruhestand.
2019 hat er sein Sozialdrama "Sorry We Missed You" beim Filmfest Hamburg präsentiert und mit NDR.de über prekäre Arbeitsbedingungen gesprochen - besonders bei Kurierfahrern.
Dieses Drama von Ken Loach macht wütend. Sehr wütend. Er handelt von einer vierköpfigen Familie in Newcastle im Norden Englands, die trotz 14-Stunden-Schichten beider Elternteile nicht würdig leben kann. Ricky fährt als selbstständiger Kurierfahrer Pakete aus, Abby pflegt alte Damen - und doch reicht das Geld nicht aus. Im Gegenteil, die Familie ist tief verschuldet.
"Es ist gut, dass der Film wütend macht, denn es ist unfair. Die Art, wie sich die Arbeitswelt verändert hat, ist unfair. Früher hatte man einen Job, bei dem man sicher wusste, der hält und man kann vom Einkommen die Familie durchbringen. Heute ist das Arbeitsleben eine Katastrophe. Man weiß nie, ob man morgen noch einen Job hat, es wird insgesamt schlechter bezahlt und du weißt nie, was du nächste Woche verdienst", sagt Ken Loach.
Viele Geringverdiener brauchen Geld vom Staat
Ricky und Abby, die mindestens an sechs Tagen in der Woche von Auftrag zu Auftrag hetzen und trotzdem nie in Urlaub fahren können, stehen beispielhaft für Millionen von Briten. "In unserem Land brauchen viele Geringverdiener Hilfe vom Staat, weil sie nicht genug zum Leben haben", erzählt Loach.
Der Regisseur und sein langjähriger Drehbuchautor Paul Laverty haben beim Drama bewusst auf unbekannte, großartige Schauspieler gesetzt und sich auf eine Familie konzentriert "weil sich bei der Familie am meisten zeigt, was der allgemeine Stress auslöst. Die beiden sind gute Eltern. Sie tun ihr Bestes. Aber wenn sie abends nach Hause kommen sind sie ausgelaugt, haben nicht mehr viel Geduld. Am Ende muss man sagen, ist der Vater ein Gefangener in seinem Lieferwagen."
Ricky muss nämlich nicht nur vom eigenen Geld den Lieferwagen für seine Arbeit leasen und Strafzettel bezahlen, er muss auch pünktlich Pakete zu Wunschzeiten abliefern und hat oft nicht einmal Zeit, um auf Toilette zu gehen. Er muss sogar Strafe zahlen, falls er einen Tag fehlt und bekommt natürlich kein Krankengeld. Das teure Gerät an seinem Gürtel, in dem jedes Paket und jeder Lieferweg kontrolliert wird, heißt im Kurierjargon sogar "Pistole". Rickys Chef scherzt, es entscheide über Tod oder Leben.
Ken Loach: "Man nimmt jedes Spiel, wie es kommt"
Mehrfach nimmt Ricky seine zehnjährige Tochter mit auf Kurierfahrten, um sie überhaupt noch tagsüber zu sehen, was beiden Spaß macht. Das bringt ihm prompt Ärger ein - denn ein Kunde beschwert sich - und Kunden haben immer Recht, bläut der Vorarbeiter Ricky ein. So ginge es nicht weiter.
Fünf Jahrzehnte voller bewegender Sozialdramen, Komödien und Dokumentarfilme über die Arbeiterklasse hat der 87-jährige Meisterregisseur nun hinter sich. Wie viele Filme stecken noch in Ken Loach? "Ich weiß nicht, ob ich noch einmal einen Film drehe. Das ist wie beim Fußball. Man nimmt jedes Spiel, wie es kommt. Es gibt viel zu erzählen, aber ob ich das schaffe, weiß ich nicht. Mal schauen. Ich schlucke fleißig meine Tabletten", sagte er lachend in Hamburg.
Das Sozialdrama "Sorry We Missed you" startete im Januar 2020 im Kino. 2023 hat Loach in Cannes erneut ein Drama vorgestellt: "The Old Oak".