Judith Kerr zum 100. Geburtstag: Autorin mit Begabung zum Glück
Geboren in Berlin, 2019 in London gestorben, hatte die Schriftstellerin und Zeichnerin Judith Kerr "Ein Tiger kommt zum Tee" eine Begabung zum Glück. Heute wäre sie 100 Jahre alt geworden. Ein Porträt.
"Mein Vater hatte die Begabung zum Glück. Ich habe sie auch". Das sagte die Autorin und Illustratorin Judith Kerr einmal. Ihr Vater, der ebenso gefürchtete wie populäre Kritiker Alfred Kerr, ihre Mutter, die Komponistin Julia Kerr und ihr Bruder Michael flohen 1933 vor der NS-Diktatur aus Deutschland.
Judith Kerr: Weltberühmt mit "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl"
Ihr Weg führte sie über die Schweiz und Frankreich nach England. Weltberühmt wurde Kerr mit ihrem Buch "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl", in dem sie die Jahre der Flucht beschreibt.
In ihrer Wahlheimat England indes war sie vor allem als Zeichnerin und Autorin legendärer Bilderbücher bekannt, wie zum Beispiel "Ein Tiger kommt zum Tee". 2019 verstarb Judith Kerr, die sich als Engländerin bezeichnete und acht Dekaden in Großbritannien lebte, in London.
"Ein Tiger kommt zum Tee" 1968 in England veröffentlicht
Das Bilderbuch "Ein Tiger kommt zum Tee" wurde 1968 in England veröffentlicht. Schon lange vorher hatte Judith Kerr diese Geschichte ihrer Tochter erzählt. "Sie war so ein 'bossy' child und sagte immer: 'Talk the tiger'".
Sophie öffnete die Wohnungstür, und davor stand ein großer, pelziger, gestreifter Tiger. Der Tiger sagte: „Entschuldigt bitte die Störung, aber ich bin sehr hungrig. Könnte ich vielleicht mit Euch Tee trinken? Sophies Mama sagte: "Aber natürlich, komm doch herein." Zitat aus "Ein Tiger kommt zum Tee"
Kerr erzählte: "Wir haben immer auch Bücher gesucht für die Kleinen. Es gab damals gar keine Geschichten, die ein zweijähriges Kind vollkommen verstehen konnte, in den Worten, die ein zweijähriges Kind kennt. Es gab nur Bücher da stand drauf 'hier ist ein Pferd', 'hier ist eine Kuh', und dann gab es Bücher, die viel zu kompliziert waren. Ich denke deswegen ist das so gut gegangen mit dem Buch."
Er trank die ganze Milch aus, allen Orangesaft, Papas gesamtes Bier und schließlich trank er am Wasserhahn noch die komplette Wasserleitung leer. Zitat aus "Ein Tiger kommt zum Tee"
Kerr zeichnete viele Kinderbücher, alleine 17 über Kater Mog
Viele Jahrzehnte saß die studierte Malerin Judith Kerr in einem Zimmer im ersten Stock ihres Londoner Hauses und zeichnete die Figuren für ihre Kinderbücher. Allein von den Geschichten über den katzenhaft seltsamen Kater Mog, erschienen 17 Bände, von denen allerdings nur wenige ins Deutsche übersetzt wurden.
Anlass sich mit einem ganz anderen Thema zu beschäftigen, gab der Film "The sound of music". Die mit Julie Andrews verfilmte Geschichte der sangesfreudigen Familie Trapp, die vor den Nationalsozialisten flieht, veranlasste Judith Kerrs Sohn Matthew nach dem Kinobesuch zu dieser Aussage: "Jetzt wissen wir genau, wie es war, als Mommy klein war. Und da dachte ich, da muss man doch etwas tun."
"Als Hitler das rosa Kaninchen stahl": Auftakt zur Erinnerungstrilogie
1971 erschien mit "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“, der erste Band ihrer Erinnerungstrilogie.
Am schwierigsten fiel es ihnen zu entscheiden, was von den Spielsachen mitsollte. Am Ende blieb nur Platz für ein paar Bücher und eines von Annas Stofftieren. Sollte sie sich für das rosa Kaninchen entscheiden? Das ihr Spielgefährte gewesen war, solange sie sich erinnern konnte? Oder für ein neues, wolliges Hündchen. Es war doch schade, den Hund zurückzulassen, da sie noch kaum Zeit gehabt hatte mit ihm zu spielen. Und sie packte ihn ein.
"Ich hatte große Schwierigkeiten damit", erklärt Kerr. "Das ging so langsam und ich wusste nicht, ob es auch richtig war. Zum Schluss sagte ich zu meinem Mann: 'Also, das geht nicht, ich gebe das auf'. Da hat er gesagt: 'Zeig's mir mal. Also, du muss das machen!"
Aus der Zeichnerin wurde eine Autorin
Judith Kerrs Mann, der britische Fernsehautor Nigel Kneale, bestärkte sie in ihrem Vorhaben und die Zeichnerin wurde zur Autorin, die sich jedoch nie primär als solche verstand. "Ich bin Zeichnerin. Ich kann mich nicht an eine Zeit erinnern, wo ich nicht gezeichnet habe."
Wann immer Judith Kerr gefragt wurde, ob es denn nicht hart gewesen sei, als Kind zu flüchten, antwortete sie so, oder so ähnlich: "Ich habe eigentlich eine wunderbare Kindheit gehabt. Ich fand es viel besser in Paris, als dass wir noch in Deutschland bleiben sollten."
Manche Menschen haben die Begabung zum Glück. Judith Kerr hatte sie. Ihre Bücher haben dieses Geschenk in die Welt getragen.