John von Düffel bricht eine Lanze für das Nichts
Wie sollten wir mit Geschenken zu Weihnachten umgehen, ist das Nichtschenken eine Lösung? John von Düffel über Ideen zum Konsumverzicht und seine Geschichte darüber.
"Weniger ist mehr" - ein altes Sprichwort. Ist das "Weniger" tatsächlich die Formel für die Zukunft? Mit steigender Population, mit steigendem Verbrauch und sinkendem Bestand vorhandener Ressourcen ist es fraglos, dass Reduktion angesagt ist. Dazu ist es nötig, dass wir unsere Lebensform verändern müssen. Wir sind zu viele, die zu viel wollen, zu viel produzieren, zu viel machen und zu viel konsumieren. Wie gehen wir mit dieser Tatsache um? Wie sind wir darauf, auch mental eingestellt? Denn gerade an Weihnachten stehen uns Feiertage bevor, an denen Erwartungen, auch materielle Wünsche wieder sehr hochgeschraubt werden.
Der Schriftsteller, Essayist, Dramaturg, Theater- und Filmkritiker John von Düffel hat sich mit dem Thema "Weniger", Askese, Verzicht aus verschiedenen Blickrichtungen beschäftigt. 2022 erschien sein Stundenbuch "Das Wenige und das Wesentliche". Jetzt gerade hat er seine "Geschichte vom Konsumverzicht" veröffentlicht: "Ich möchte lieber nichts". Was sich dahinter verbirgt, erzählt er Martina Kothe in NDR Kultur à la carte.
Ihr Buch "Ich möchte lieber nichts", ist eine Geschichte vom Konsumverzicht und darüber, dass wir alle aus der Überzeugung herauskommen sollten, dass ein immer Mehr nicht dazu führen kann, dass wir alle auf diesem Planeten dauerhaft leben können. Was für ein System haben wir uns selbst gebaut, das uns zwingt, immer weiter zu konsumieren? Weihnachten ist das große Fest des Konsums. Wie gehen Sie mit dem Thema Geschenke um? Schließlich gehen Sie bewusst mit dem Konsum um.
John von Düffel: Ich versuche Geschenke als sehr persönliches oder Beziehungsthema zu sehen. Ich schenke nur da, wo die Beziehung es zulässt. Was ich damit meine, ist, dass ich als Familienvater das Kind beschenke und natürlich auch meine Frau. Wobei wir uns über die Jahre hinweg darauf geeinigt haben, dass wir uns nichts schenken müssen. Das ganz große Thema im Zusammenhang mit Schenken ist Erwartung. Geschenke werden erwartet und wenn man sie nicht schenkt, gibt es eine große Enttäuschung. Aber selbst wenn man sie schenkt, gibt es manchmal auch Enttäuschungen. Das heißt, wir sind in einem Kontext, wo es um Erwartungen und Enttäuschungen geht, im besten Fall auch Überraschungen, wenn das Schenken gelingt.
Man muss sich klarmachen, dass es bei Konsumverzicht nicht um etwas geht, wie Bier trinken, nach dem Motto, das lasse ich mal. Sondern es geht um eine Sozialisation. Bevor wir denken konnten, waren wir schon Konsumenten, und das in einer großen, fast weltumspannenden Umfassung. Das ist tatsächlich ein großes Projekt. Wie können wir das verlernen, nicht um sich alles zu verbieten, sondern um freier zu werden und aus dieser Abhängigkeit rauszukommen.
Das sind zwei wichtige Stichworte: Das Verlernen und die dadurch gewonnene Freiheit. Ist das Thema soziale Interaktion etwas, was in uns angelegt ist, durch Geschenke eine Wertschätzung ausdrücken, eine Überraschung schaffen?
von Düffel: Auf jeden Fall. Es ist immer schon da gewesen. Die Frage ist nicht, ob, sondern in welchem Maße. Wenn man sich klarmacht, wie die Menschheit zu dem Punkt gekommen ist, an dem wir heute sind, dann ist die Akkumulation ein ganz starkes Prinzip, also die Aufhäufung von Dingen, weil uns das die Zukunft gesichert hat. Je mehr Wohlstand, je mehr materielle Güter, desto sicherer war das Überleben. Insofern ist dagegen erstmal nichts zu sagen, das ist ein Überlebensprinzip. Wir sind jetzt an den Punkt angekommen, wo dieses Überlebensprinzip des Aufräumens immer mehr zu einem lebensbedrohlichen Faktor wird. Wir haben so viel angehäuft und häufen immer mehr an, sodass es auf einmal zerstörerisch wird - das sichert nicht unsere Zukunft, sondern bedroht sie. Deswegen ist ein Umdenken schwierig. So sehr aber dieses Prinzip der Akkumulation in uns ist, so sehr ist auch das Prinzip des Maßhaltens in uns. Das erleben wir zum Beispiel, wenn wir zum Buffet gehen. Wir denken, das ist alles lecker. Dann haben wir den Teller ganz voll und essen davon nur die Hälfte. Genau da setzt manchmal am Buffet der gute Gedanke ein: Das kann ich sowieso nicht mehr essen, das lasse ich mal lieber liegen. Das ist dieses andere Prinzip, was allerdings in unserer Sozialisation überhaupt nicht gestärkt wird.
Das Gespräch führte Martina Kothe.