Stand: 15.06.2020 08:30 Uhr

Harry Rowohlt begeisterte sein Publikum seit jahrzehntelang

von Heide Soltau

Harry Rowohlt gehörte zu den bekanntesten Stimmen der deutschen Literatur. Er übersetzte mehr als 150 Bücher, schrieb selbst und sprach Hörbücher. Bekannt war er auch für die Rolle des Obdachlosen Harry in der "Lindenstraße". Am 15. Juni 2015, starb Harry Rowohlt. Nur wenige Monate vor seinem Tod, in einem Gespräch zum 70. Geburtstag, ließ Rowohlt sein Leben Revue passieren.

Harry Rowohlt, Autor, Übersetzer und Schauspieler © picture-alliance / Sven Simon Foto: Horst Galuschka
Ein sagenhafter Vorleser: Harry Rowohlt.

"Ich habe über 150 Bücher übersetzt und ich weiß nicht wie viele geschrieben. Sehr viel weniger, aber die zähle ich nicht mit, weil sie nicht richtig Arbeit gemacht haben", sagte er. "Und dann habe ich auch noch ganz viele Hörbücher, beziehungsweise wie das früher hieß - Sprechplatten - vollgequatscht."

Und wie er sie vollgequatscht hat: "Pu der Bär", von Rowohlt auch neu übersetzt, verkaufte sich 250.000 Mal und brachte ihm im Jahr 2000 eine goldene Schallplatte ein. Aber man musste ihn live erleben. Harry Rowohlt drehte erst auf der Bühne richtig auf. Seit Ende der 80er-Jahre, seinem ersten öffentlichen Auftritt in Aachen, eilte ihm ein sagenhafter Ruf voraus. "Da war ich so gerührt und bestürzt, dass da richtig echte Menschen hingegangen sind, die Eintritt bezahlt haben, dass ich einfach nicht mehr aufgehört habe, zu lesen", erinnerte er sich.

Harry Rowohlt: "Schausaufen mit Betonung"

Harry Rowohlt, Autor, Übersetzer und Schauspieler, gießt sich während einer Lesung im Hamburger St. Pauli-Theater am 16.4.2003 ein Glas Bier ein. © picture-alliance / Sven Simon Foto: DB Barbara Sax
Alkohol gehörte bei Rowohlts Lesungen auf der Bühne dazu.

Mehr als sechs Stunden dauerten die Veranstaltungen manchmal, während sich die ersten Becher füllen und Harrys Alkoholpegel steigt. "Schausaufen mit Betonung", nannte er das. Ursprünglich sollte und wollte Harry Verleger werden, und in das von seinem Vater Ernst Rowohlt gegründete Unternehmen einsteigen. Doch das anfängliche Interesse für den Verlag verwandelte sich schnell in eine Bürde: "Ich war da Volontär, aber ich hatte den großen Fehler begangen, vorher Lehrling beim Suhrkamp-Insel-Verlag gewesen zu sein. Und dadurch war ich dann für den Rowohlt-Verlag leider verdorben", erzählte er. Sein Stiefbruder Heinrich Maria Ledig-Rowohlt leitete damals den Verlag. Harry kehrte nie mehr dorthin zurück und verkaufte 1982 seine Anteile an die Holtzbrinck-Gruppe.

Unübersetzbarer Gangsterslang als Gesellenstück

Seine erste professionelle Übersetzung war ein Kinderbuch: "Die grüne Wolke", geschrieben von A. S. Neill, dem Vater der antiautoritären Erziehung. Harry Rowohlt hatte es in einer New Yorker Buchhandlung entdeckt. "Und da habe ich meinem Bruder geschrieben, ob es ihm wohl entgangen sein sollte, dass von Neill nicht nur Bücher über Gören, sondern auch eines für Gören erschienen ist. Und da schrieb er mir zurück, es sei nur leider unübersetzbar, weil amerikanischer 40er-Jahre-Gangsterslang drin vorkommt. Und da habe ich angefragt, ob ich das wohl mal dürfe", sagte er.

"Die grüne Wolke" wurde sein Gesellenstück. Harry Rowohlt gehörte bald zu den bekanntesten literarischen Übersetzern, der Bücher von Flann O'Brien und Frank McCourts Roman "Die Asche meiner Mutter" ins Deutsche übertragen hat.

Harry Rowohlt als Obdachloser in der "Lindenstraße"

Harry Rowohlt, Autor, Übersetzer und Schauspieler © picture-alliance / Sven Simon Foto: Arno Burgi
Ursprünglich wollte Rowohlt Verleger werden, wie sein Vater. Doch ein Volontariat verdarb ihm die Lust daran.

Berühmt gemacht aber hat ihn erst das Fernsehen. 1995 bot man ihm eine Rolle in der "Lindenstraße" an: "Und da habe ich gesagt, in dem Fall bitte einen Penner, weil das die einzige Randgruppe ist, die bisher in der 'Lindenstraße' etwas stiefmütterlich behandelt wurde. Und außerdem brauche ich dafür nicht viel Maske."

Ab 2007 litt er an der unheilbaren Nervenkrankheit Polyneuropathie und konnte nicht mehr laufen. "Die Polyneuropathie hat nichts damit zu tun", sagte er, "sondern nach der Operation bin ich zusammengebrochen und kann seitdem nicht mehr stehen und nicht mehr gehen und bin an den Rollstuhl gefesselt." Am 15. Juni 2015 verstarb Harry Rowohlt.

Dieses Thema im Programm:

NDR Info | 27.03.2015 | 09:55 Uhr

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