"Gott spricht Jiddisch" von Tuvia Tenenbom: Lesung in Hamburg
Der amerikanisch-israelische Autor Tuvia Tenenbom las am Montag aus seinem Buch "Gott spricht Jiddisch" - an einem mit Symbolik regelrecht aufgeladenen Ort: der schwer bewachten Talmud-Tora-Schule in Hamburg.
Tuvia Tenenbom ist normalerweise unterwegs mit Büchern, die voller Humor stecken: bissige Beobachtungen eines Juden, der sich über Deutschland und die Deutschen Gedanken macht ("Allein unter Deutschen"), über Juden überhaupt ("Allein unter Juden") oder jetzt, ganz aktuell, über seine orthodoxen Vorfahren: "Gott spricht Jiddisch". Das mit dem Humor ist - seit dem 7. Oktober - eine besondere Herausforderung für den Autor, der es nicht gewohnt ist, ein Blatt vor den Mund zu nehmen: ist er doch einer der schärfsten - und lautesten - Kritiker von Benjamin Netanjahu, dem israelischen Premier.
Tuvia Tenenbom auf der Suche nach seinen orthodoxen Wurzeln
Gerade sei wieder Bombenalarm in der Gegend um Gaza, sagt Tuvia Tenenbom mit Blick aufs Handy. Seine Frau Isi schaut gleichzeitig auf ihres. Fest installiert haben beide Apps mit Warnung vor Raketenbeschuss. Die Aufzählung der israelischen Städte, in denen gerade jetzt Bombenalarm ist, hört nicht auf.
Die Tenenboms pendeln zwischen New York, Berlin und Jerusalem. Isi Tenenbaum ist Fotografin. Sie war ein Jahr lang in Jerusalem dabei, im Stadtteil Mea Shearim, wo ihr Mann seine orthodoxen Wurzeln sucht: er, der Jude, der dem strengen Glauben abgeschworen hatte. Jetzt findet er offene Häuser, wird an den reich gedeckten Familientisch zum Schabbes geladen, um gemeinsam zu singen, zu feiern.
"Gott spricht Jiddisch": Hochkomisch und gnadenlos direkt
Tuvia Tenenbom kann das alles, weil er in diesem Viertel seiner Jugend auch die Sprache wiederfindet: Jiddisch. Plötzlich war es wieder da! Erst die Sprache öffnet ihm den Blick in eine geschlossene Gesellschaft. Spannend, hochkomisch, gnadenlos direkt, diese Ich-Reportage - so subjektiv, zugespitzt und bissig, wie man es von dem rundlichen Mann in Hosenträgern nur erwarten kann.
Doch die tückische Präsenz der Bilder auf dem Handy begleitet ihn auch hier, auf Lesereise. Der Nachrichtensender "Al Jazeera" auf Arabisch - Tuvia Tenenbaum versteht alles, sieht Bilder, die das Blut in den Adern gefrieren lassen. "Die Schändung der Körper, das Verbrennen, die Vergewaltigungen: Es ist wie das, sagen sie dort, was ihr Europäer unseren Eltern angetan habt", sagt Tenenbom. Die Berichterstatter ziehen, sagt der Journalist über das Handwerk der Kollegen vor Ort, einen unheimlichen Vergleich: "Sie ziehen eine Verbindung zwischen jetzt und dem Holocaust."
Mitreißend und von großer Menschenliebe
Tuvia findet, dass man - wie er - hinreisen muss, hinschauen und nachfragen, mit der Empathie des teilnehmenden Reporters und Autors, die auch bei Leserinnen und Publikum verfängt: "Ich finde, er ist in seiner Sprache, in seinem Buch wie in Reinform, immer so, dass er einen vor den Kopf stößt, was mir aber immer wieder gefällt", sagt eine Zuschauerin.
Bei allem Spott ist Tuvia Tenenbom zugleich von großer Menschenliebe erfüllt. Auch weil er hier, in den orthodoxen Familien, eine ganz andere Art der Freiheit findet - fern von aktuellen Denkmustern, die den Diskurs bei uns so vergiften. Am Ende reißt uns der Autor, der Jude, der seine Wurzeln in einem kleinen Stadtteil Jerusalems erforscht und gelebt hat, allesamt mit.