F. Scott Fitzgerald "Der große Gatsby"
In 25 Folgen der Wissensreihe "Große Romane der Weltliteratur" streifen wir durch die Geschichte des Romans von den Anfängen bis in die Gegenwart. In dieser Folge dreht sich alles um F. Scott Fitzgeralds "Der große Gatsby".
Von Hanjo Kesting
F. Scott Fitzgerald, der Autor des Romans "Der große Gatsby", gilt gemeinhin als Chronist des von ihm so benannten "Jazz-Age". Die Glanzzeit seines Lebens war das dritte Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts, die explosive und zwiespältige Epoche der Moderne, die mit dem Ende des Ersten Weltkriegs begann und mit dem großen Börsenkrach im Oktober 1929 endete. Niemals wurde der sprichwörtliche "Amerikanische Traum" von Glück und Glanz, schnellem Reichtum und strahlendem Ruhm heftiger geträumt als in dieser knappen Zeitspanne, den legendären "Roaring Twenties".
Wie kein anderer seiner schreibenden Zeitgenossen verkörpert Fitzgerald diesen amerikanischen Traum, doch hat er auch seine Brüchigkeit beschrieben, nirgends so eindringlich wie in "The Great Gatsby". Das Thema des Buches ist die zerstörerische Macht der Zeit und die Vergänglichkeit alles Irdischen, denn hinter allem äußeren Glanz, der das Buch auf den ersten Blick so anziehend und geradezu berauschend macht, meint man zuweilen den Ton einer barocken Vanitas-Predigt zu hören. Auch Jay Gatsby, die Titelfigur des Buches, jagt einem trügerischen Traum nach. Und obwohl er der Verwirklichung dieses Traums zuweilen nahe scheint, erweist er sich zuletzt doch als unerreichbar.
Zur Handlung
Der Roman erzählt im Grunde eine Märchenphantasie: Ein junger Mann bescheidener Herkunft verliebt sich in eine schöne und reiche Erbin, die er aufgrund des unüberbrückbaren sozialen Abstands nicht gewinnen kann. Daraufhin trägt er mit erlaubten und unerlaubten Mitteln ein riesiges Vermögen zusammen, um seinem Jugendtraum nachzujagen und die Frau seines Herzens zurückzugewinnen. Es fällt nicht schwer, in Jay Gatsby die Verkörperung einer kollektiven Traumfigur wiederzuerkennen: den amerikanischen Selfmademan, der mit finanziellem Erfolg eine schöne Frau aus besseren Kreisen an sich bindet. Und seine erträumte Schöne namens Daisy ist eine verwöhnte Kindfrau, deren Stimme bereits nach Geld klingt: "Her voice is full of money", heißt es im amerikanischen Originaltext.
Es geht bei Fitzgerald, direkt oder indirekt, immer ums Geld. Es ist das Geld, das glücklich und schön macht, das die Türen zu den irdischen Paradiesen öffnet und die Verwirklichung der kühnsten Träume ermöglicht. Gatsby erwirbt seinen sagenhaften Reichtum aus dem einzigen Grund, um sein erträumtes Leben mit Daisy zu realisieren - das macht ihn zu einer literarischen Gestalt, die an Märchenhelden wie Aladin und Sindbad erinnert, von ferne besitzt er auch Ähnlichkeit mit dem Don Quijote der Ritterromane. Wie der Ritter von der traurigen Gestalt verfügt er über die Fähigkeit, sich so tief in einem erträumten Leben zu verlieren, dass er es mit seinem wirklichen Leben verwechselt.
Von der Chronik über die Liebesgeschichte zum blutigen Melodram
Fitzgeralds Roman ist kein völlig homogenes Buch. Er beginnt wie eine Chronik der tollen zwanziger Jahre mit ihrem ungehemmten Überfluss und verwandelt sich allmählich in eine ebenso zarte wie phantastische Liebesgeschichte. Sie kulminiert in dem Wiedersehen Gatsbys mit Daisy in seinem gewaltigen Palast. Danach rollt eine wilde Kolportagegeschichte voll absurder Zufälle und Missverständnisse ab, die zuletzt in ein blutiges Melodram mündet. Am Schluss liegt Gatsby tot in seinem Swimmingpool, und das große Fest nimmt ein makabres Ende.
Geschichte von der Macht des Geldes
"Der große Gatsby" erschien 1925, er war kein rauschender Erfolg, vielmehr der Anfang von Fitzgeralds unaufhaltsamem Abstieg, der ihn zuletzt zum schlecht bezahlten Lohnschreiber in Hollywood machte. Seine Wiederentdeckung begann erst zwanzig Jahre nach seinem frühen Tod. Hollywood hat sich gleich viermal dieser Geschichte bemächtigt, die eine zutiefst amerikanische Geschichte ist, gemäß dem Leitspruch des damaligen Präsidenten: "The Business of America is Business." Es ist eine Geschichte von der Macht des Geldes, die alle Dinge des täglichen Lebens, nicht zuletzt die Menschen, nach ihrem Geldwert bemisst und in Waren verwandelt. So ist "Der große Gatsby" zwar die Entzauberung des "american dream", aber zugleich der genaue Ausdruck jener prunksüchtigen Welt, in der alle Schönheit dem Zweck dient, das Gift der Geldwirtschaft zu übertünchen.