"Zauberberg"-Lesung in Lübeck: 1.000 Seiten in 90 Minuten
Thomas Manns Roman "Der Zauberberg" wird in diesem Jahr 100 Jahre alt. In Lübeck wird der mehr als 1.000-seitige Roman in 90 Minuten von Schauspielerin und Sprecherin Meike Rötzer zusammengefasst.
Wenn Meike Rötzer über Thomas Manns Roman "Der Zauberberg" spricht, dann ist das keine klassische Lesung, sondern eher eine Erzählperformance: "'Der Zauberberg' war als Novelle geplant, hat Thomas Mann gesagt. Es ist dann doch eine sehr ausgedehnte Shortstory geworden", sagt Meike Rötzer lachend. "Er hat seine Frau Katja in Davos auf ihrer Kur besucht und wäre fast sogar selbst geblieben, ihm wurde nämlich Neurasthenie diagnostiziert, reizbare Schwäche. Diese Diagnose war früher sehr häufig, heute gibt's das gar nicht mehr, das war eine Mischung aus Burnout und Depression."
Rötzer fasst mit eigenen Worten, aber auch mit Zitaten aus dem Roman die wichtigsten Passagen zusammen. Dass dabei nicht jede Szene erzählt werden kann, dass ihre Kunst im Weglassen besteht, das bedauert die Sprecherin und Autorin durchaus. "Die Herausforderung bestand darin, bestimmte Figuren und Handlungsstränge zu streichen, weil sie nicht meinem Hauptstrang folgten", schildert sie. "Es sind so schöne Szenen mit solchem Humor und solcher Präzision, dass es da richtig wehtat einzelne Handlungsstränge wieder rausnehmen zu müssen - insbesondere Figuren. Thomas Mann schildert diese Personen so genau, dass man sie genau vor Augen hat. Dieser 'Zauberberg' ist wirklich wie ein Wimmelbuch voller einzelner Geschichten."
"Zauberberg" auch heute noch aktuell
Thomas Mann schildert einen Sanatoriumsaufenthalt des Hamburger Kaufmannssohns Hans Castorp. Sieben Jahre verbringt Hans schließlich in einer Klinik in Davos in den Schweizer Alpen. Er wollte eigentlich nur seinen kranken Cousin besuchen, doch dann wird er selbst krank. Und genießt irgendwann sogar das Leben im Sanatorium.
Er begegnet Persönlichkeiten mit unterschiedlichsten Weltanschauungen, teilweise sind die sehr aktuell: "Es hat mich richtig aufgebracht", erzählt die Schauspielerin. "Die europäischen Werte, die der Humanist vertritt auf der einen und auf der anderen Seite der gottesfürchtige, der den Gottesstaat haben will und sagt 'Terror ist das Gebot der Stunde'. Bei solchen Sätzen bin ich zusammengezuckt. Ich hatte es vor Jahrzehnten gelesen und mir war nicht klar, dass das da schon alles verhandelt wird."
Gedanken über Krankheit und Tod
Für Hans dreht sich die Zeit im Sanatorium langsam. Meike Rötzer ist fasziniert von dieser Figur. Er stolpere naiv in das Geschehen und sei im Grunde überfordert mit der Situation: "Wie er sich in diesem Sanatorium niederlässt und was ihn dann bewegt und wie er älter wird und Erfahrungen macht, das ist eine ganz rührende Figur, weil er wirklich, wie Thomas Mann am Anfang sagt, ein ganz einfacher junger Mann ist."
Hans verliebt sich und macht sich Gedanken über Krankheit und Tod. "Mich fasziniert die Dichte dieser Erzählweise, die so unterhaltsam und gleichzeitig so gewichtig ist, von den Gedankengängen her und den Themen", erzählt Meike Rötzer. "Es ist auf eine Art und Weise erzählt, die so sinnlich situativ und nahbar ist, dass es einfach Spaß macht es zu lesen." Entweder man liest den "Zauberberg" danach zum ersten Mal oder wird eben zum Wiederholungstäter. Es lohnt sich in jedem Fall, findet die Sprecherin, "weil er einen in eine ganz andere Welt entführt und zugleich ganz zu sich selbst zurückführt."