Daniel Kehlmann seziert die Vergangenheit eines Filmemachers
Daniel Kehlmann gräbt in der Geschichte und schreibt über den Filmemacher G. W. Pabst in seinem jüngsten Roman "Lichtspiel". Im Interview erzählt er, wie er bei der Recherche vorgegangen ist.
Der österreichische Filmregisseur Georg Wilhelm Pabst gehörte, neben Fritz Lang oder Ernst Lubitsch zu den großen Film-Regisseuren der Weimarer Republik. Was zeichnete seine Filme aus? Was war das Besondere? G. W. Pabst machte den Film zur Kunst, achtete vor allem auf den Schnitt und schuf so eine Zäsur in der Filmgeschichte: G. W. Pabst etablierte den Schritt vom zuvor expressionistisch märchenhaften Film zum sozialen Realismus.
Der 1975 in München geborene Schriftsteller Daniel Kehlmann hat mit seinen Büchern "Ich und Kaminski" oder "Die Vermessung der Welt" große internationale Erfolge gefeiert. In seinem jüngsten Roman "Lichtspiel" zeichnet Kehlmann das Leben des Filmemachers G. W. Pabst nach und spricht in "NDR Kultur à la carte" mit Katja Weise über das Entwickeln historischer Stoffe, über die Filmindustrie im Nationalsozialismus und über das Schreiben in New York und heute wieder in Berlin.
In Ihrem neuen Roman geht es um Georg Wilhelm Pabst, G. W. Pabst. Er war in der Weimarer Zeit und auch danach ein sehr bekannter und berühmter Filmemacher. Wie sind Sie auf G. W. Pabst gestoßen?
Daniel Kehlmann: Ich bin durch mein Interesse für die Frühgeschichte des Films, also den Stummfilm und die frühen Tonfilme auf ihn gestoßen, wo es ganz unglaublich großartige Filme gibt. Es ist für uns ein bisschen anstrengend, Stummfilme anzusehen, weil man es einfach nicht gewohnt ist, denn der Teil des Gehirns, der Sprache verarbeitet, liegt dabei brach. Man wird am Anfang sehr schnell müde beim Stummfilmschauen, aber man gewöhnt sich daran. Und dann kann man das wirklich genießen. Ich hatte schon länger mit dem Gedanken gespielt, in dieser Frühzeit des deutschen Films einen Roman anzusiedeln. Darüber bin ich auf Pabst gestoßen und auf diesen ganz irritierenden, komischen Umstand, dass er aus dem Exil zurückgekommen ist, aber nicht wie andere, als es vorbei war, sondern 1939. Dann war er wieder in der Ostmark, wie Österreich damals hieß, und hat für das Propagandaministerium unter Göbbels Filme gedreht, das waren keine Nazi-Filme, also keine Propagandafilme. Künstlerisch ist ihm gar nicht so viel vorzuwerfen, wenn man diese Filme ansieht. Aber es bleibt natürlich ein ganz merkwürdiger, irritierender Vorgang. Es ist eine Geschichte, die keine Parallele hat. Ich wüsste keinen anderen Emigranten, bei dem man so eine Geschichte findet. Es ist auch bis zu einem gewissen Grad rätselhaft und dann dachte ich, das ist doch ein interessanter Roman-Stoff.
Wie recherchieren Sie? Sie haben nicht mit der Familie gesprochen, obwohl es Nachfahren gibt.
Kehlmann: Nein, mit Absicht nicht. Ich habe darüber nachgedacht, aber ich hatte mir dieses Szenario vorgestellt, dass ich mit Angehörigen spreche und wir uns gut verstehen und sie mir vielleicht auch Zugang zu Quellen, Informationen oder Immobilien geben, wo Pabst gewohnt hat. Dann ist es ein Buch geworden, das ihn nicht unbedingt als Helden im klassischen Sinne behandelt. Es ist ein Roman, in dem es auch um moralische Verfehlungen geht. Ich hatte diesen Gedanken, diese Vision, dass sich Angehörige beschweren könnten, so nach dem Motto: Kehlmann hat unser Vertrauen ausgenutzt, er hat sich in unser Vertrauen eingeschlichen und dieses Buch geschrieben, das wir nicht mögen und nicht haben wollen. Das könnte ich auch nachvollziehen. Damit es diese Situation gar nicht gibt, nehme ich diesen Kontakt nicht auf.
Wie würden Sie G. W. Pabst beschreiben?
Kehlmann: Wenn ich ihn jetzt beschreibe, gibt es immer diese unvermeidliche Unklarheit, ob ich von der Romanfigur oder von dem historischen Pabst rede. Ich spreche jetzt von meiner Romanfigur, aber ich glaube, dass das auch für den historischen Pabst gilt, was ich jetzt sage. Ich glaube, er ist jemand, der im Grunde nicht genau weiß, was er tun soll. Er ist kein entscheidungsstarker Mensch, aber er ist in seinem Bereich ungeheuer begabt und erfahren und das ist das Filmemachen, beziehungsweise das Regieführen. Das ist das Paradoxe an der Figur. Es war wahrscheinlich auch das Paradox des historischen Pabst, dass jemand, der selber entscheidungsschwach ist, einen Beruf hat, der darin besteht, Entscheidungen für andere zu treffen. Man bekommt diese merkwürdige Spaltung, die ich im Roman auch erzählerisch ausnutze, dass man ihn über lange Zeit eigentlich immer als entscheidungsschwach und ein bisschen ziellos wahrnimmt. Aber wenn man ihn wirklich bei der Arbeit erlebt, dann merkt man, dass er absolut entscheidungsstark ist und ganz genau weiß, was alle anderen tun sollen. Außerdem gibt er allen mit Weisheit, Klugheit und Erfahrung vor, wie sie sich verhalten sollen. Aber er selbst weiß nie so recht, wie er sich außerhalb der Arbeit, wenn er nicht gerade Filme dreht, verhalten sollte.
Das Gespräch führte Katja Weise.