Giulia Becker © picture alliance / ABBfoto |
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AUDIO: Autorin Giulia Becker über die Absurdität des Alltags (8 Min)

Autorin Giulia Becker: "Mit Scheitern kenne ich mich aus"

Stand: 13.11.2024 14:37 Uhr

Im Interview spricht Giulia Becker über Urlaub, ihre Rolle als Unterhalterin im Literaturbetrieb und die Absurdität von Leben und Tod. Ihr neues Buch "Wenn ich nicht Urlaub mache, macht es jemand anderes" ist frisch erschienen.

Kleine Geschichten, alberne Liedtexte, Gedichte und andere Einschübe wechseln sich darin ab. Sie alle eint eine pointierte Situationskomik. Die Texte wirken, als wären sie mal eben runtergeschrieben, in den meisten thematisiert Giulia Becker das Reisen. Im Interview mit NDR Kultur verrät die Autorin, wie ihr das Bücherschreiben "passiert" und wie sie sich im Literaturbetrieb einordnet.

Dein neues, zweites Buch heißt "Wenn ich nicht Urlaub mache, macht es jemand anderes". Nicht alle Geschichten drehen sich ums Reisen, aber es ist schon eine Art loser roter Faden, der sich immer wieder findet. Was bedeutet für dich Urlaub?

Giulia Becker: Urlaub bedeutet für mich Entspannung. Das kann alles Mögliche sein. Ich kann sehr gut in einer Hotel-Bettenburg entspannen, ohne jegliche Kultur, ohne jegliche Eindrücke, einfach nur rumliegen und schimmeln.

Du bist bekennender Drinnie, quasi Stubenhockerin von Herzen. Ist Urlaub vielleicht besonders faszinierend, wenn man so viel Zeit zu Hause verbringt?

Becker: Ja, total. Ich habe im Buch an einer Stelle geschrieben, dass ich nicht verreise, um meinem Alltag zu entfliehen, sondern um meinem Alltag die Welt zu zeigen. Ich versuche weitestgehend ein völlig normales Leben im Urlaub zu führen und entspannten Tätigkeiten nachzugehen, die ich auch in meinem Alltag bestreite.

Also bloß nicht zu viel Abenteuer?

Becker: Richtig.

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Das erste Buch war schon sehr eigen, ohne Frage - im Schreibstil, in deinem Humor, aber formal relativ klassisch. Warum hast du dich beim zweiten Buch formal so weit vom Roman entfernt?

Becker: Ich hatte eine kleine Lese-Krise - beziehungsweise eine große Lese-Krise. Bedingt durch das Internet habe ich eine kleine Aufmerksamkeitsstörung, würde ich sagen. Ich habe angefangen, Kurzgeschichten zu lesen, um wieder ins Lesen reinzukommen, und das hat mir sehr geholfen. Dann habe ich beim Lesen gemerkt: Okay, das ist eigentlich genau das, was ich auch machen will, weil ich damit ganz, ganz viele verschiedene Geschichten in einem Buch erzählen kann und mich nicht auf einen langen Handlungsstrang festlegen muss.

Ich glaube, damit kommst du vielen Leser*innen sehr entgegen. Ich glaube, jeder zweite Mensch in meinem Umfeld sagt: Ich habe ADHS, ich kann mich auf nichts mehr konzentrieren. Im Buch wechseln sich die genannten Kurzgeschichten mit Gedichten und Songtexten ab. Es gibt mal ein Horoskop, verschiedene Rubriken wie Psychotests oder sogenannte Pro-Tipps. Wie ist es genau zu dieser Form gekommen? Wie viel war davon Plan und wieviel ist passiert?

Becker: Ich würde sagen, das allermeiste ist einfach passiert. Ich bin so eine Person, die sich an den Laptop setzt und morgens nicht weiß, was sie schreiben wird. Dann passiert das einfach. So zieht sich das durch das Buch. Ich bin vom Hölzchen aufs Stöckchen gekommen und habe mich von einem Thema zum nächsten gehangelt. Das ist alles irgendwie am Ende so passiert.

Hättest du Bezeichnung parat für diese Form des Buches, einen Namen?

Becker: Ich sage immer, es ist Jux. Das Genre ist auch einfach Jux. Also ein einfacher, zünftiger Quatsch.

Ich finde, dass das Buch im allerbesten Sinne so wirkt, als wäre es mal eben so runtergeschrieben, also ganz mühelos. Gab es trotzdem auch anstrengende Phasen beim Schreiben?

Becker: Das hat fünf Jahre gedauert, bis das Buch fertig war. Ganz so einfach runtergeschrieben habe ich es dann doch nicht. Es gab ganz lange Durststrecken, in denen ich einfach gar keine Inspiration hatte und auf gar keinen lustigen Gedanken gekommen bin. Deswegen habe ich das immer etappenweise geschrieben. Es war letztendlich doch ein etwas längerer Prozess als eigentlich geplant.

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Wie viel Spaß macht generell das Schreiben von humoristischen Texten im weiteren Sinne?

Becker: Es macht mir einen Riesenspaß. Das habe ich jetzt vor allem bei diesen kurzen Formen wieder gemerkt, dass mir das einfach unglaublich viel Spaß macht, so fantasiereich zu schreiben, auch immer wieder abdriften zu können und mir das auch selbst zu erlauben, irgendwelche Abbiegungen zu nehmen, die total ins Absurde führen. Das ist genau das, was mir super viel Spaß macht. Am Ende des Tages habe ich oft beim Durchlesen noch mal selber gekichert. Das ist immer ein gutes Zeichen.

Abdriften ist ein gutes Stichwort. Es sind oft eher banale Alltagserfahrungen und -beobachtungen, die immer weiter ins Absurde abdriften. Wieviel Absurdität steckt für dich im Alltäglichen?

Becker: Sehr viel. Ich finde das Leben an sich absurd. Auch die Tatsache, dass wir uns alle so ernst nehmen, obwohl wir alle sterben und zu Staub zerfallen, finde ich schon lustig. Deswegen ist mein erstes Kapitel auch dem Tod gewidmet. Ich finde überall etwas Absurdes und ich mag es einfach, die Lupe da drauf zu halten und das Ganze noch ein bisschen zu sezieren.

Das Abdriften, eine gewisse Form von Eskalation, die eigentlich in ziemlich allen Geschichten steckt, und auch das Scheitern - das war auch schon im ersten Buch ein Thema. Das waren Figuren, die gewissermaßen gescheiterte Gestalten waren. Das scheint dir viel Freude zu machen, darüber nachzudenken. Was interessiert dich daran?

Becker: Mit Scheitern kenne ich mich aus: Da bin ich zu Hause, da kann ich aus dem Vollen schöpfen. Das Scheitern an sich ist das, was uns alle miteinander verbindet, was einen menschlich macht und was meines Erachtens auch viel Komik birgt. Ich finde es immer zehn Mal interessanter, über das Scheitern nachzudenken oder einer Person beim Scheitern zuzusehen - nicht auf eine voyeuristische Art, sondern auf eine liebevolle Art -, als Leuten, die immer gewinnen. Das ist ein bisschen langweilig. Ich finde, der wahre Kern liegt eigentlich immer im Scheitern.

Die meisten Menschen haben Angst vorm Scheitern, genauso vorm Thema Tod, mit dem du dein Buch eröffnet hast. Ist dieser humorvolle Umgang damit - das ist vielleicht ein bisschen Micky-Maus-Psychologie - eine Form, mit der Angst davor umzugehen?

Becker: Auf jeden Fall. Ich finde immer, wenn etwas anfängt, sich zu ernst anzufühlen, zu schwer anzufühlen, hilft es, das Ganze aus einem lustigen Blickwinkel zu sehen und der Sache die Schwere zu nehmen, indem man einfach ein bisschen darüber lacht. Das hilft auch beim Tod. Dem können wir alle sowieso nicht entgehen, also macht es keinen Unterschied, ob wir darüber lachen oder nicht.

Wie unterscheidet sich das Schreiben zum Beispiel von einem Drehbuch oder von Gags für Jan Böhmermann vom Schreiben eines Buchs?

Becker: Ich habe beim Buch zum Glück ein bisschen weniger Zeitdruck. Ich bin da ein bisschen offener, was natürlich auch vom Verlag nett ist. Beim Drehbuch habe ich immer sehr viel Zeitdruck und es muss immer sehr viel, sehr schnell überarbeitet werden. Beim Buch kann ich die Gedanken treiben lassen, mich wirklich darauf einlassen und mir auch Zeit nehmen, Abzweigungen zu nehmen. Das ist cool, weil dadurch auch noch einmal andere Gedanken entstehen, die ich vielleicht unter Zeitdruck nicht habe, weil ich keine Zeit habe, meine Fantasie zu entfalten.

Das klingt, als ob die Zusammenarbeit mit dem Verlag relativ entspannt war. Da hast du viel Freiheit bekommen?

Becker: Ja, die sind sehr entspannt zum Glück.

Du bist vielen vor allem als Podcasterin bekannt. Könntest du sagen, ob du dich mehr als Autorin, Humoristin oder als Podcasterin siehst?

Becker: Ich bin auf jeden Fall Autorin und Entertainerin - so würde ich mich bezeichnen, eine Unterhalterin. Und ich habe auch einen Podcast. Das ist eine von vielen Sachen, die ich mache. Grundsätzlich bin ich erst einmal Autorin.

Wie ernst genommen fühlst du dich vom Literaturbetrieb als Schriftstellerin?

Becker: Ich glaube, ich gehöre da gar nicht so zu. Ich habe eine Outsider-Rolle, was man, glaube ich, grundsätzlich schon hat, wenn man Humor macht. Da wird man immer ein bisschen belächelt. Unterhaltung wird in Deutschland nicht gern gesehen. Das gehört nicht richtig zur Literatur dazu. Aber ich finde es nicht schlimm. Ich mache mir da einen kleinen Jux daraus, diesen Betrieb mal ein bisschen aufzumischen.

Das Buch ist seit gestern draußen. Was ist seitdem passiert?

Becker: Einiges. Viele Leute haben mir geschrieben, viele Leute haben es schon in einem Rutsch durchgelesen. Ich habe neue Interviewanfragen bekommen und es ist jetzt ganz viel los, ganz viel Trubel. Das ist schön. Ich freue mich auf jeden Fall, dass es jetzt draußen ist, weil ich wirklich lange damit alleine war. Jetzt ist es Zeit, dass die Leute es endlich zu lesen kriegen.

Das Gespräch führte Alexandra Friedrich.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 13.11.2024 | 16:00 Uhr

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