Wie lässt sich Machtmissbrauch an Hochschulen verhindern?
2023 hat die Historikerin Martina Winkler in einen offenen Brief die Strukturen in der Wissenschaft bemängelt. Was hat sich seitdem geändert? Im Interview spricht sie über dieses "unheimlich komplexe" Problem.
Ein Job im Hochschul- und Unibetrieb ist für viele Studentinnen und Studenten eine gute Sache: Als wissenschaftlicher Mitarbeiter verdient man etwas Geld, ist an einen Lehrstuhl angebunden, hat also guten Kontakt zur Professorin oder zum Professor. Für Doktoranden sollte all dies erst recht gelten. Aber genau diese Verhältnisse ermöglichen auch Machtmissbrauch: Verlängerung des befristeten Vertrages oder nicht, systematische Überlastung der Mitarbeiter mit Arbeit, Aneignung von geistigem Eigentum der Doktoranden und Mitarbeiter - ein Lehrstuhlinhaber hätte da viele Möglichkeiten, und leider nutzen in einzelnen Fällen manche genau das aus.
Die Historikerin Martina Winkler von der Uni Kiel hat vor eineinahlb Jahren einen offenen Brief verfasst. Sie findet, dass es in der Wissenschaft geradezu eine Einladung zum Machtmissbrauch gebe und das Problem im System liege.
Frau Winkler, damals gab es für Ihren offenen Brief viel Zuspruch, oder?
Martina Winkler: Ja, da hatten wir fast nur positive Reaktionen. Es gab ein paar Leute, denen die Vorschläge zu weit gingen, aber grundsätzlich war das sehr positiv. Wir waren natürlich nicht die einzigen, sondern das ist ja eine gesamte Dynamik, aber ich denke schon, dass ich sich einiges getan hat. Das Thema ist einfach auf dem Tisch. Es gibt immer noch Leute, die sagen, dass es Machtmissbrauch an der Uni nicht gibt, aber die müssen dann auch mit hochgezogenen Augenbrauen rechnen. Es ist inzwischen klar, dass wir da ein Problem haben.
Die Namensliste unter dem offenen Brief ist immer länger geworden. Was ist seither passiert?
Winkler: Das Thema ist auf dem Tisch - das muss ich noch mal wiederholen, weil es das Entscheidende dabei ist. Es gibt verschiedene Maßnahmen: Zum Beispiel haben Fachverbände entsprechende Kommissionen eingerichtet; an den Universitäten gibt es Arbeitsgruppen, wo bessere Beschwerdestrukturen geplant werden; wir haben immer wieder Vorträge; es gibt Netzwerke, diese Woche die beiden Tagungen. Deswegen sprechen wir ja auch. Das klingt vielleicht so ein bisschen nach: "Aha, die haben da eine Arbeitsgruppe gegründet" - man muss aber bedenken, dass dieses Problem wirklich riesig ist. Das ist unheimlich komplex, und man kann nicht innerhalb einer Woche etwas ändern, weil es so kompliziert ist, so viele verschiedene Ebenen beteiligt sind, dass das einfach lange dauert. Deswegen ist es gut, dass es diese ganzen Arbeitsgruppen und Netzwerken gibt und dass drüber geredet wird. Wir müssen nur aufpassen, dass es nicht dabei bleibt, sondern dass es weitergeht.
Ein Problem sind auch Finanzierungen, was stabile oder langfristige Beschäftigungsverhältnisse an der Hochschule angeht. Gibt es da schon eine Verbesserung?
Winkler: Ich glaube, da muss ich widersprechen. Das mit den langfristigen Beschäftigungen oder vielmehr den im Moment eher prekären Beschäftigungen ist keine Frage des Geldes, jedenfalls nicht in erster Linie. Sondern da geht es um Strukturen, um Macht und um Beharrungskräfte. Es ist ja nicht unbedingt billiger, wenn ich Leute ineffizient beschäftige, indem ich sehr viele Leute ausbilde und nach kurzer Zeit wieder auf die Straße setze. Das kostet unglaublich viel Geld und Energie. Das ist keine Frage der Finanzierung, sondern das ist eine Frage von Machterhalt und davon, wie unser Wissenschaftssystem funktioniert. Wenn Sie mich fragen, ob sich da etwas geändert hat: sehr wenig. Das liegt daran, dass die wenigsten bereit sind, diese Strukturen zu ändern. Ganz wichtig wäre hier, dass das Bundesministerium für Wissenschaft da mal was tut. Aber die haben sich geweigert, das Wissenschaftszeitvertragsgesetz sinnvoll zu ändern. Auch auf den unteren Ebenen - Landesebene, Universitätsleitung, aber auch die Fakultäten - gibt es viele Stellschrauben, um etwas zu ändern. Aber auch das ist schwierig, weil das schon immer so gemacht wurde. Man hat diese Machtfülle, und die abzugeben, möchte nicht jeder.
Wie sieht es aus mit Beratungs- oder Hilfsangeboten für Betroffene an den Hochschulen? Welche kennen Sie, und wie funktionieren die?
Winkler: Da gibt es die klassischen: Das sind insbesondere die Gleichstellungsbeauftragten - ich habe nie ganz verstanden, warum ausgerechnet die das machen sollen. Die sollen ja gleichstellen, die sollen strategisch arbeiten und die Situation verbessern und nicht Feuerwehr spielen. Wenn man mit Gleichstellungsbeauftragten spricht, dann sagen die häufig, dass sie die Betroffenen nur halbwegs unbeschadet aus der Situation heraus begleiten können, dass sie aber nicht wirklich etwas ändern können.
Ansonsten gibt es Ombudspersonen und verschiedene Beschwerdestellen. Es gibt teilweise auch den Aufruf: Holt euch Hilfe; jeder Dozent, jede Dozentin könne da irgendwie helfen. Und das ist das Problem. Wir brauchen Leute, die das können, die dafür ausgebildet sind. Ob das eine berufliche Ausbildung sein muss oder eine sinnvolle Fortbildung, darüber kann man sich streiten, das hängt auch vom Einzelfall ab. Ganz wichtig ist, dass die Personen, die diese Beratungen machen und für Beschwerden zuständig sind, unabhängig sind - und das sind sie häufig nicht. Gleichstellungsbeauftragte machen das häufig zusätzlich zu ihrer normalen Arbeit und sind häufig selber prekär beschäftigt. Und auch wenn sie es nicht sind, sind sie trotzdem in gewissen Abhängigkeiten. Man möchte es sich mit dem Kollegen oder der Kollegin nicht verscherzen. Deswegen ist eigentlich die zentrale Forderung, dass wir unabhängige Beschwerdestellen brauchen, und das heißt außerhalb der Universität, also wirklich unabhängig.
Das Gespräch führte Philipp Schmid.