Machtmissbrauch: Wie geht die Uni Lüneburg mit dem Thema um?
Die Strukturen des deutschen Wissenschaftssystems seien eine Einladung zum Machtmissbrauch, mahnen ProfessorInnen in einem offenen Brief. Auch die Leuphana Universität Lüneburg sucht nach Lösungen für das Problem.
Wird mein Name überhaupt genannt? Und wenn ja, an welcher Stelle? Was sich auf den ersten Blick wie eine Petitesse anhört, ist für Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler womöglich von elementarer Bedeutung. Denn sie haben vielleicht über Monate an einem wissenschaftlichen Artikel gearbeitet oder recherchiert - die Lorbeeren aber heimsen andere mit der Publikation ein, meist die Professoren. Und ohne diese akademischen Meriten - die unter eigenem Namen erschienenen Publikationen - fällt für die Doktorandin oder den Post-Doc womöglich auch der nächste Job oder die nächste Projektförderung ins Wasser.
Kathrin van Riesen: Fälle von juristischer Relevanz
Kathrin van Riesen ist zentrale Gleichstellungsbeauftragte der Leuphana Universität Lüneburg. Sie muss sich zwangsläufig auch mit dem Thema Machtmissbrauch und Abhängigkeiten beschäftigen. "Machtmissbrauch ist vor allem ein Geschlechterproblem: Die Studierendenschaft ist überwiegend weiblich, die Professorenschaft überwiegend männlich." Die Gleichstellungsbeauftragte erzählt, dass im Jahr etwa eine handvoll solcher Fälle auf ihrem Tisch landet. Von atmosphärischen Auseinandersetzungen bis hin zu sexuellen Vorwürfen, die auch ein juristisches oder arbeitsrechtliches Nachspiel haben können. Konkreter darf sie aus Datenschutzgründen nicht werden.
Verbesserung durch "MeToo"-Debatte?
Einige andere Themen bearbeiten zusätzlich drei unabhängige Ombudsleute. Sie sollen die verschiedenen Anliegen anonym, vertraulich und neutral behandeln und können auch durch Moderation zur Konfliktlösung beitragen. "Meine Beobachtung ist, dass es besser geworden ist. Die 'MeToo'-Debatte hat eine Menge geändert", so van Riesen.
Münchner Uni: Sieben-Punkte-Plan soll Missbrauch vorbeugen
Die erste Hochschule, die das Thema wissenschaftlich untersucht hat, war im Februar vergangenen Jahres die Hochschule für Musik- und Theater München. Aus den Erkenntnissen wurde ein Sieben-Punkte-Plan abgeleitet. So heißt es unter Punkt eins beispielsweise: "Wir führen das Kriterium 'Nähe - Distanz' in alle Berufungs- und Besetzungsverfahren in Lehre und Verwaltung ein." Aber auch andere Themenfelder werden neu sortiert: Haus- und Prüfungsordnungen werden überprüft, eine anonyme Beschwerdestelle soll eingerichtet werden. Aber auch spezifische Maßnahmen für die Studierenden, die auf der Bühne anderen Belastungen ausgesetzt sein können, als in einer Vorlesung: So sollen künftig Intimitäts-Coaches - wie es sie bei Film und Fernsehen bereits gibt - eingesetzt werden, um zu gewährleisten, dass es auf der Bühne keine Grenzüberschreitungen gibt.
Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) macht öffentlich, dass man den zahlreichen Fällen von Machtmissbrauch etwas entgegensetzen müsse. Walter Rosenthal, Vorsitzender der HRK, betont die Wichtigkeit des Themas. "Alle Mitglieder der Hochschulen haben Anspruch auf ein Studien- und Arbeitsklima, das frei ist von Belästigung, Diskriminierung und Gewalt. Sie sind wiederum dazu angehalten, nicht wegzuschauen und durch ihr eigenes Verhalten zu einem wertschätzenden Umgang miteinander beizutragen", so Walter Rosenthal, in einer Pressemitteilung im November vergangenen Jahres.
Arbeitsgruppe an Leuphana prüft bestehende Formalia
Auch an der Leuphana hat man daher reagiert, erklärt Uni-Sprecher Martin Gierczak: "Es ist ein stetiger Prozess. Zuletzt hat sich Arbeitsgruppe gegründet, die nun alle Formalia überprüft und fragt, was muss sich weiterentwickeln, um Menschen besser zu helfen und um bessere Hilfangebote zu machen."
Eines der Grundprobleme an den Hochschulen sind vor allem die unterschiedlichen Hierarchieebenen und auch die verschiedenen Statusgruppen wie Professoren, wissenschaftlich Mitarbeitende, nicht-akademisches Personal sowie die zahlenmäßig größte Gruppe: die Studierenden. Denn "Macht" und Einfluss hätten sie vergleichsweise wenig. Dieses Gefälle bleibe wohl auch künftig bestehen, räumt auch Lüneburgs Uni-Sprecher Martin Gierczak ein. "Hierarchie ist in Institutionen immer irgendwie vorhanden - und das hat auch etwas Ermöglichendes. Wir empfinden uns bei der Leuphana aber als Community und wir wollen an der Universität einen sicheren Ort für alle schaffen. Und deshalb ist uns wichtig, dass es Beratungsangebote gibt."
Immerhin, die Diskussion ist im vollen Gange und viele Hochschulen stellen sich dem Problem. Einig sind sich aber auch alle: Respekt und angemessener Umgang werden nicht in Maßnahmenkatalogen verordnet, sondern täglich auf dem Campus, im Hörsaal und der Mensa gelebt.