Kieler Professorin beklagt Machtmissbrauch an Hochschulen
Das Machtgefälle von Professorinnen und Professoren zu wissenschaftlichen Mitarbeitenden begünstige Missbrauch und Willkür, findet Martina Winkler von der Universität Kiel. Ohnehin stehen die Arbeitsverhältnisse in der Wissenschaft in der Kritik. Einige Professoren und Professorinnen fordern deshalb nun Veränderung.
Die Kieler Professorin Martina Winkler ist Anfang April mit einem Aufruf an die Öffentlichkeit gegangen, in dem sie die Arbeitsverhältnisse in der Wissenschaft kritisiert. In dem offenen Brief prangert sie Machtmissbrauch an deutschen Hochschulen an. Bundesweit haben sich ihr 150 Professorinnen und Professoren angeschlossen und den Brief unterschrieben. Die Leiterin der Abteilung für Osteuropäische Geschichte an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel hat viel Zuspruch für ihre Initiative erhalten. So mancher Kollege habe sie angerufen und gesagt: "Endlich tut mal jemand was."
Winkler: "Jeder kennt das"
Martina Winkler war über den Zuspruch nicht sonderlich überrascht: "Es ist ein bundesweites Problem, jeder kennt das mehr oder weniger gut, deswegen haben sich so viele Menschen angesprochen gefühlt - da ändert sich langsam etwas! Die Vorstellung "le Lehrstuhl c´est moi", also dieser Absolutismus - ich habe hier meine Mitarbeiter, über die ich bestimmen kann - das ist etwas, was sich ändern muss!"
Hierarchischer Aufbau an Universitäten
Machtstrukturen prägen den akademischen Alltag, bestätigt auch der Vorsitzende des Personalrats der Kieler Universität, Ulrich Weber. Die meisten Anfragen an ihn betreffen Zeitverträge - sie sind der Standard bei wissenschaftlichen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen. Im Gegensatz dazu genießen Professoren und Professorinnen einen Beamtenstatus. Personalfragen gehören - wie so vieles - ebenso in die Entscheidungsgewalt der akademischen Führungskraft.
Jeder hat sein kleines Königreich
"Jeder Professor hat sein kleines Königreich", sagt Personalrat Weber: "Wir sprechen von einer mehrfachen Abhängigkeit: arbeitsrechtlich, der Vertrag muss verlängert werden, dann die Qualifizierung, die Ausbildung, die Benotung und die Begutachtung der Arbeit." Benotung, Begutachtung und Betreuung - alles in einer Hand. Akademische Mitarbeiter haben so kaum eine Chance, sich zu wehren. Vielen bleibt da nur der Weg zu Personalrat oder Gleichstellungsbeauftragten, um auf ihre Probleme aufmerksam zu machen.
In den letzten Jahren haben Beschwerden rasant zugenommen
Iris Werner ist Gleichstellungsbeauftragte an der Universität Kiel und steht seit 15 Jahren für Probleme und Gespräche der Nachwuchswissenschaftler zur Verfügung. In den letzten Jahren ist die Zahl der Anfragen deutlich gestiegen, erzählt sie: "Vor allem jüngere Frauen lassen sich nicht mehr so viel gefallen." Besonders perfide seien die subtilen Machtspiele des Alltags - das System mache es den Vorgesetzten leicht. Machtmissbrauch beginne schon im Kleinen, sagt die Gleichstellungsbeauftragte. Ob zum Beispiel eine Wissenschaftlerin auf eine Tagung mitfahren dürfe, hänge bisweilen auch von einem gewissen Verhalten ab.
In seltenen Fällen werden auch Grenzen überschritten
In wenigen Fällen werden auch körperliche Grenzen überschritten - es kommt zu sexueller Belästigung, erklärt Personalrat Ulrich Weber. "Stehen solche Beschuldigungen erst im Raum, glauben einige Vorgesetzte, ein Gespräch mit dem Beschuldigten reiche aus. Wenn der Beschuldigte dann aber alles abstreitet, steht Aussage gegen Aussage. An dieser Stelle kommt auch der Personalrat nicht weiter", sagt Weber.
Aufklärung oder gar eine Untersuchung durch das Ministerium vermeiden fast alle Opfer. Die eigene Forschungsgruppe ist klein, die Scham groß. So bleibt nur das Warten auf ein baldiges Ende des Zeitvertrags. "Auf diese Weise hat sich schon so manches Problem von selbst erledigt", beklagt Ulrich Werner.
Baden-Württemberg stellt externe Vertrauensanwältin
Auch an Universitäten und Hochschulen anderer Bundesländer ist Belästigung innerhalb der Machtstrukturen ein Thema. Baden-Württemberg ist bereits aktiv geworden. So hat das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst eine Rechtsanwältin aus Stuttgart als Vertrauensanwältin für sexualisierte Diskriminierung, sexuelle Belästigung und Gewalt bestellt. Die Einrichtung einer externen Vertrauensanwältin außerhalb des Wissenschaftsbetriebs soll ein weiterer Baustein der Aktivitäten des Ministeriums sein, um Übergriffen an Universitäten und Hochschulen entgegenzuwirken.
Winkler fordert Änderung der Machtstruktur
Martina Winkler ist sich bewusst, dass die Machtstrukturen geändert werden müssen: "Sie sind eine Einladung zum Missbrauch" sagt sie, "das Problem liegt im System." Sie hat bereits konkrete Vorschläge gemacht. Eine Arbeitsgruppe der Christian-Albrechts-Universität will sich nun mit dem Thema Machtmissbrauch auseinandersetzen und neue Wege aufzeigen. "Es wird ein langer steiniger Weg", sagt sie, "es ist immer schwierig Machtstrukturen zu ändern, es wird Widerstand geben, das ist klar. Zudem ist das Problem sehr komplex. Es gibt ja nicht nur diese eine Stellschraube, an der wir drehen können und dann wird alles gut."