Welttag der Kinderrechte: Wachsende Not bei Familien
Aktuellen Berechnungen zufolge lebt jedes dritte Kind in Deutschland von Sozialleistungen zur Existenzsicherung, viele sind in emotionaler und materieller Not. Oft ist das Limit erreicht, sehen die Mitarbeitenden des Kinderhauses Arche in Hamburg.
Es fehlen die grundlegendsten Dinge, die zur Entwicklung eines Kindes gehören, manchmal sogar an Grundversorgung. Inflation und gestiegene Lebenshaltungskosten haben Kinderarmut noch einmal drastisch verschärft, in zahlreichen Familien ist der Kühlschrank am Monatsende leer.
"Ich weiß manchmal nicht, wo ich noch sparen soll"
Stephanie Timm kramt eine Plastikmünze für den Einkaufwagen aus ihrer Hosentasche und löst die Kette. Nach der Arbeit noch schnell etwas einkaufen fürs Abendessen. Sie sieht geschafft aus, auf ihren Schultern lastet viel Verantwortung, Stephanie Timm ist alleinerziehend mit drei jugendlichen Kindern. "Ich kaufe wirklich nur noch das, was wir für die Woche brauchen und nicht mehr auf Vorrat, weil das einfach momentan nicht drin ist", erzählt sie.
Vor dem Supermarkt, die Obstauslage: Stephanie Timm packt vier Äpfel ein und nimmt sich eine Schale von den Tomaten, die im Angebot sind. Ansonsten schaut sie nur. "Ich selber verzichte dann auf ein Stück Fleisch, damit die Kinder was haben. Oder auf einen Joghurt." Weil ihre drei Kinder sie noch brauchen, kann Stephanie Timm gerade nur in Teilzeit arbeiten. Ihr Gehalt, das sie als "Haushaltshilfe im Pflegedienst" verdient, wird mit Bürgergeld aufgestockt. "Ich weiß manchmal nicht, wo ich noch sparen soll", so Timm.
Deutschland: Jedes dritte Kind lebt von Sozialleistungen
1.000 Euro hat Stephanie Timm für ihre vierköpfige Familie monatlich zur Verfügung. Davon muss sie neben Lebensmitteln, Hygieneartikeln und Kleidung alles bezahlen, was im Familienalltag so anfällt. Ein ständiges Jonglieren und trotzdem ist am Ende jeden Monats nichts übrig. "Die Situation belastet mich, dass ich immer rechnen muss: Was kostet mich das? Jetzt schaffe ich das, aber ich zeige es den Kindern halt nicht, weil ich sage, die sollen noch ein bisschen behütet aufwachsen", sagt die Mutter.
In Deutschland lebt mittlerweile jedes dritte Kind von Sozialleistungen des Staates, in Jenfeld, der Stadtteil, in dem Stephanie Timm wohnt, sogar jedes zweite. Die Preise für Lebensmittel sind gestiegen, beim Bürgergeld wurde die Inflation bisher nicht berücksichtigt. Stephanie Timm und viele andere wenden sich in ihrer Not an Hilfseinrichtungen wie das Kinderhaus Arche. Sie springen ein, wo Politik versagt.
Arche Hamburg hilft, finanziert durch Spenden
"Na, Ihr Drei", begrüßt Stephanie Timm ihre Kinder. Sie brauchen eine Unterschrift für den Nachmittagsausflug. Jan-Philipp, Steven und Laura sind drei von über 200 Kindern und Jugendlichen, die im Kinderhaus Arche in Jenfeld jeden Tag betreut werden. Es gibt: Warme Mahlzeiten, Hilfe bei den Hausaufgaben und viele Freizeitaktivitäten. Finanziert wird das aus Spenden.
"Schwimmen, alles. Wir wollen heute eigentlich heute in die Soccer-Halle gehen, jetzt ist es aber Miniaturwunderland geworden, das machen wir nächste Woche", freut sich der 15-jährige Jan-Philipp. Sein ein Jahr jüngerer Bruder Steven fügt hinzu: "Du kannst Nachhilfe kriegen in Deutsch, Mathe, Englisch und so, die können eigentlich auch ziemlich gut erklären und wollen Dir immer helfen."
Kritik der Arche: Arme Kinder bleiben arm
Eigentlich ist die Arche ein pädagogisches Projekt, aber sie muss mittlerweile vieles abfedern. Eine Kleiderkammer hat die Arche und in letzter Zeit geben sie auch immer mehr Lebensmittelpakete aus. Tobias Lucht, Leiter der Arche Hamburg, kennt von allen Kindern und Eltern die Namen. "Wir haben mal errechnet: Für ein 13-jähriges Kind stehen pro Tag 3,79 Euro für drei Mahlzeiten zur Verfügung. Da kann man sich schon ausmalen, dass da zumindest keine ausgewogene Ernährung möglich ist oder es sehr schwierig ist", erklärt Lucht.
Die Politik will das Problem mit der neuen "Kindergrundsicherung" lösen. Doch nach dem derzeitigen Gesetzesentwurf blieben arme Kinder arm, kritisiert die Arche. Auch Stephanie Timm ist beunruhigt: "Meine größte Sorge ist einfach, dass diese Auszahlungen an die Kinder nicht wirklich kommt, aber die anderen Auszahlungen - vom Kindergeld zum Beispiel -, dass die abgestellt wird und dass man dann in der Luft hängt und dieses Geld dann wirklich weg ist. Da hab ich Angst vor."
Die Kindergrundsicherung soll erst 2025 kommen. Zeit, die Familien wie die von Stephanie Timm nicht haben, ihre Not ist jetzt.