Ungewollter Denkmalschutz: Anwohner klagen über Auflagen

Stand: 29.03.2023 11:17 Uhr

In Hamburg-Poppenbüttel ist gleich eine ganze Siedlung unter Denkmalschutz gestellt worden - ohne die Anwohner mit einzubeziehen. Diese fühlen sich nun überrumpelt. Am Dienstagabend gab es in Hamburg ein Treffen zwischen Anwohnern und Denkmalschutzamt.

Vor einem halben Jahr flatterte den Bewohnern von 221 Häusern ohne Ankündigung ein Brief vom Amt durch die Tür: Die ganze Siedlung Hamburg Bau '78 wurde unter Denkmalschutz gestellt. Und zwar als Ensemble. Die Bewohner der ehemaligen Mustersiedlung sind in Aufruhr. Einst als innovatives Wohnungsprojekt gefeiert, ist die Siedlung jetzt etwas in die Jahre gekommen. "Das Besondere bei der Hamburg Bau '78 ist, dass wir hier Musterhäuser haben, also eine ganze Vielfalt von 'Wohnen in den 70er Jahren'. Wir haben Stadthäuser, wir haben Reihenhäuser, wir haben Einzelhäuser", erklärt Dr. Anna Joss, Leiterin des Denkmalschutzamtes. Diese Vielfalt wolle man erhalten und überliefern. "Wenn wir nur ein paar Einzelhäuschen unter Schutz gestellt hätten, hätten wir gar nicht dieses Zeugnis, das wir übermitteln können. Deshalb die Unterschutzstellung von der gesamten Anlage."

Anwohner wollen nicht in einem Denkmal wohnen

Das Neubaugebiet Hamburg-Bau in Poppenbüttel. © CC BY-SA 4.0
Das Neubaugebiet Hamburg Bau '78 in Poppenbüttel war Ende der 70er-Jahre eine Neuheit - mittlerweile ist die Siedlung etwas in die Jahre gekommen.

Am Dienstagabend gab es in Poppenbüttel, in der Aula vom Heinrich-Heine-Gymnasium, eine Informationsveranstaltung für alle Bewohner der Siedlung Hamburg Bau '78. Diese fühlen sich überrumpelt, denn alle Umbauten, die "das Erscheinungsbild des Denkmals" betreffen, müssen nun mit dem Denkmalschutzamt abgesprochen werden. Die Leiterin des Denkmalschutzamtes versucht, mit den Bewohnern ins Gespräch zu kommen. Sie erklärt, wie und warum die Entscheidung gefallen ist. Aber schnell an diesem Abend wird klar: Das Kind ist schon viel früher in den Brunnen gefallen. Die Bewohner fühlen sich nicht mitgenommen. "Warum ist es der Behörde eigentlich möglich, eine ganze Siedlung vor vollendete Tatsachen zu stellen?", fragt eine Frau. "Es ist gut, dass ein Anfang gemacht ist, man muss selbstkritisch sagen; sicherlich zu spät, man hätte sicherlich früher miteinander reden müssen", gibt der Pressesprecher der Kulturbehörde, Enno Isermann, zu.

Anwohner wollen, dass nur das Erscheinungsbild geschützt wird

Statt Denkmalschutz und vielen Auflagen für die Innenräume wünschen sich die Anwohner etwas anderes: Dass nur das Erscheinungsbild der Siedlung von außen geschützt wird. Dies wird bei anderen Gebäuden und Siedlungen in Hamburg auch praktiziert. Eine neue Bürgerinitiative verfolgt diesen Ansatz. "Wie man jetzt eine Lösung finden kann, das ist sicherlich deutlich zu früh, darüber zu reden", meint Isermann. "Ich hoffe, dass wir auf der Basis der konstruktiven Gesprächsfäden, die es durchaus gab, weiter miteinander im Gespräch bleiben."

Kein Haus mehr im Originalzustand

Nach 45 Jahren ist kein Haus der Siedlung mehr im Originalzustand. Im Gegenteil: Familienvater Jan-Phillip Rathje hat sein Haus praktisch entkernt und neu aufgebaut. Das wäre jetzt alles wohl verboten. "Wir haben das Haus 2014 übernommen und haben uns dann an den Innenausbau gemacht, auch bereits mit strukturellen Maßnahmen. 2020 haben wir nochmal angebaut, für unser drittes Kind", erzählt Rathje. Er würde gerne eine Photovoltaikanlage aufs Dach setzen und einen Carport bauen, sei jetzt aber etwas verunsichert.

An-, aus- und umgebaut wurde in der Siedlung schon überall. So auch bei Valentin Resetarits: "Hier gab es Fenster aus braunem Holz, die hätte ich nie rausnehmen dürfen, obwohl ich schon mit dem Finger in die Löcher reingekommen bin. So schlecht war die Qualität." Manfred Boldt hat sein Haus ebenfalls mehrfach renoviert: "Es war alles verrottet. Die Terrasse musste komplett neu gemacht werden, das Haus musste isoliert werden. Dazu kommt das Dach. Es war alles Asbestmaterial, was raus musste." Und Klaus Bültjer hat in seinem Haus Sonnenschutz und eine Klimaanlage angebracht. Sein Vorgänger habe im Wohnzimmer schon zwei Bullaugen eingesetzt, um einen besseren Blick auf den Garten zu haben.

Umbau wird durch Denkmalschutz erschwert

Jetzt, mit dem Denkmalschutz, können die Besitzer nicht mehr allein entscheiden. Alle Maßnahmen, die das "Erscheinungsbild" des Denkmals oder die "Substanz" betreffen, benötigen einen Antrag. Und die Beratung kostet. "Es wird von Halbstundensätzen geredet", berichtet Boldt. "Und 40 Euro für eine halbe Stunde finde ich ganz schön happig." Denkmalschutzamt-Leiterin Joss ist es wichtig zu betonen, dass nicht jeder Umbau davon betroffen ist: "Wenn jemand beispielsweise seine Küche oder sein Badezimmer austauschen möchte, dann sprechen wir nicht mit. Es ist aber sinnvoll, trotzdem mit uns Kontakt aufzunehmen, weil man im Denkmal-Kontext nämlich eine höhere steuerliche Absetzung geltend machen kann."

Wertminderung durch Denkmalschutz?

Der Vorsitzende der CDU-Fraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft Dennis Thering vergleicht die Unter-Denkmalschutz-Stellung mit einer Teilenteignung, "weil die Immobilienpreise natürlich deutlich bis zu 30 Prozent zurückfallen. Weil kaum jemand Interesse daran hat, ein Denkmal zu kaufen, bei dem er gar nicht weiß, was er noch ändern kann und ob er eine Genehmigung dafür kriegt." Eine Wertminderung könne Joss im Moment hingegen nicht beobachten: "Nach der Unterschutzstellung wurden weiterhin Gebäude verkauft, also gehe ich davon aus, dass der Markt weiter funktioniert."

Die Nachbarschaft will sich damit nicht abfinden - und entdeckt sich dabei als Gemeinschaft. "Man lernt dadurch unheimlich viele neue Nachbarn kennen. Das schweißt zusammen", meint Manfred Boldt. "Wir haben eine sehr schöne Nachbarschaft", findet auch Jutta Boldt.

Weitere Informationen
Die Zentrale der Gutshausretter: Das Herrenhaus von Rensow. Zurzeit ohne Gäste. Das Corona-Jahr bringt die Ferienwohnungsvermietung fast zum Erliegen. © NDR/AP Populärfilm/Steffen Schneider

Was bedeutet das Leben im denkmalgeschützten Raum?

"Gutshausretter" Knut Splett-Hennings spricht im Interview über seine Passion, alte Gutshäuser wieder auf Vordermann zu bringen. mehr

Windräder © NDR

Backhaus: Windkraft geht vor Denkmalschutz

Mecklenburg-Vorpommerns Klimaschutzminister weist Behörden an, wie sie mit Einwänden der Denkmalschützer umgehen sollen. mehr

Das alte Pumphaus und ein Wasserausgleichsturm in Rothenburgsort. © Hamburg Wasser

Das macht ein Denkmal zum Denkmal

Rund 10.000 Gebäude stehen in Hamburg unter Denkmalschutz. Was sind Voraussetzungen für den Status? Was ein Denkmal ausmacht, zeigt ein aktuelles Beispiel. mehr

Ein Bagger zerstört das Reetdach des Alten Gasthofs auf Sylt. © NDR
7 Min

Illegaler Abriss auf Sylt: Auf den Spuren eines Investors

Ein Investor reißt kurz vor Silvester eines der ältesten Reetdach-Häuser auf Sylt ab. Was hat der Eigentümer vor? 7 Min

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | NDR Kultur - Das Journal | 13.03.2023 | 22:45 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Denkmal

Architektur

Hände halten ein Smartphone auf dem der News-Channel von NDR Kultur zusehen ist © NDR.de

WhatsApp-Channel von NDR Kultur: So funktioniert's

Die Kultur Top-News aus Norddeutschland direkt aufs Smartphone: NDR Kultur ist bei WhatsApp mit einem eigenen Kanal aktiv. mehr

Eine Grafik zeigt einen Lorbeerkranz auf einem Podest vor einem roten Hintergrund. © NDR

Legenden von nebenan: Wer hat Ihren Ort geprägt?

NDR Kultur sucht Menschen, die in ihrer Umgebung bleibende Spuren hinterlassen haben - und setzt ihnen ein virtuelles Denkmal. mehr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

Abonnieren Sie den NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur App Bewerbung © NDR Kultur

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Mann und Frau sitzen am Tisch und trinken Tee. © NDR Foto: Christian Spielmann

Tee mit Warum - Die Philosophie und wir

Bei einem Becher Tee philosophieren unsere Hosts über die großen Fragen. Denise M‘ Baye und Sebastian Friedrich diskutieren mit Philosophen und Menschen aus dem Alltag. mehr

Mehr Kultur

Zwei blonde Schauspielerinnen, eine in einem schwarzen Kleid und die andere in einem weißen, sitzen auf einer Bühne. © Axel Biewer

"Für mich soll's rote Rosen regnen" erzählt Lebensgeschichte der Knef

Das Stück an der Landesbühne Nord in Wilhelmshaven setzt auf zwei Darstellerinnen, die Hildegard Knef in unterschiedlichem Alter spielen. mehr