Ungewollter Denkmalschutz: Anwohner klagen über Auflagen
In Hamburg-Poppenbüttel ist gleich eine ganze Siedlung unter Denkmalschutz gestellt worden - ohne die Anwohner mit einzubeziehen. Diese fühlen sich nun überrumpelt. Am Dienstagabend gab es in Hamburg ein Treffen zwischen Anwohnern und Denkmalschutzamt.
Vor einem halben Jahr flatterte den Bewohnern von 221 Häusern ohne Ankündigung ein Brief vom Amt durch die Tür: Die ganze Siedlung Hamburg Bau '78 wurde unter Denkmalschutz gestellt. Und zwar als Ensemble. Die Bewohner der ehemaligen Mustersiedlung sind in Aufruhr. Einst als innovatives Wohnungsprojekt gefeiert, ist die Siedlung jetzt etwas in die Jahre gekommen. "Das Besondere bei der Hamburg Bau '78 ist, dass wir hier Musterhäuser haben, also eine ganze Vielfalt von 'Wohnen in den 70er Jahren'. Wir haben Stadthäuser, wir haben Reihenhäuser, wir haben Einzelhäuser", erklärt Dr. Anna Joss, Leiterin des Denkmalschutzamtes. Diese Vielfalt wolle man erhalten und überliefern. "Wenn wir nur ein paar Einzelhäuschen unter Schutz gestellt hätten, hätten wir gar nicht dieses Zeugnis, das wir übermitteln können. Deshalb die Unterschutzstellung von der gesamten Anlage."
Anwohner wollen nicht in einem Denkmal wohnen
Am Dienstagabend gab es in Poppenbüttel, in der Aula vom Heinrich-Heine-Gymnasium, eine Informationsveranstaltung für alle Bewohner der Siedlung Hamburg Bau '78. Diese fühlen sich überrumpelt, denn alle Umbauten, die "das Erscheinungsbild des Denkmals" betreffen, müssen nun mit dem Denkmalschutzamt abgesprochen werden. Die Leiterin des Denkmalschutzamtes versucht, mit den Bewohnern ins Gespräch zu kommen. Sie erklärt, wie und warum die Entscheidung gefallen ist. Aber schnell an diesem Abend wird klar: Das Kind ist schon viel früher in den Brunnen gefallen. Die Bewohner fühlen sich nicht mitgenommen. "Warum ist es der Behörde eigentlich möglich, eine ganze Siedlung vor vollendete Tatsachen zu stellen?", fragt eine Frau. "Es ist gut, dass ein Anfang gemacht ist, man muss selbstkritisch sagen; sicherlich zu spät, man hätte sicherlich früher miteinander reden müssen", gibt der Pressesprecher der Kulturbehörde, Enno Isermann, zu.
Anwohner wollen, dass nur das Erscheinungsbild geschützt wird
Statt Denkmalschutz und vielen Auflagen für die Innenräume wünschen sich die Anwohner etwas anderes: Dass nur das Erscheinungsbild der Siedlung von außen geschützt wird. Dies wird bei anderen Gebäuden und Siedlungen in Hamburg auch praktiziert. Eine neue Bürgerinitiative verfolgt diesen Ansatz. "Wie man jetzt eine Lösung finden kann, das ist sicherlich deutlich zu früh, darüber zu reden", meint Isermann. "Ich hoffe, dass wir auf der Basis der konstruktiven Gesprächsfäden, die es durchaus gab, weiter miteinander im Gespräch bleiben."
Kein Haus mehr im Originalzustand
Nach 45 Jahren ist kein Haus der Siedlung mehr im Originalzustand. Im Gegenteil: Familienvater Jan-Phillip Rathje hat sein Haus praktisch entkernt und neu aufgebaut. Das wäre jetzt alles wohl verboten. "Wir haben das Haus 2014 übernommen und haben uns dann an den Innenausbau gemacht, auch bereits mit strukturellen Maßnahmen. 2020 haben wir nochmal angebaut, für unser drittes Kind", erzählt Rathje. Er würde gerne eine Photovoltaikanlage aufs Dach setzen und einen Carport bauen, sei jetzt aber etwas verunsichert.
An-, aus- und umgebaut wurde in der Siedlung schon überall. So auch bei Valentin Resetarits: "Hier gab es Fenster aus braunem Holz, die hätte ich nie rausnehmen dürfen, obwohl ich schon mit dem Finger in die Löcher reingekommen bin. So schlecht war die Qualität." Manfred Boldt hat sein Haus ebenfalls mehrfach renoviert: "Es war alles verrottet. Die Terrasse musste komplett neu gemacht werden, das Haus musste isoliert werden. Dazu kommt das Dach. Es war alles Asbestmaterial, was raus musste." Und Klaus Bültjer hat in seinem Haus Sonnenschutz und eine Klimaanlage angebracht. Sein Vorgänger habe im Wohnzimmer schon zwei Bullaugen eingesetzt, um einen besseren Blick auf den Garten zu haben.
Umbau wird durch Denkmalschutz erschwert
Jetzt, mit dem Denkmalschutz, können die Besitzer nicht mehr allein entscheiden. Alle Maßnahmen, die das "Erscheinungsbild" des Denkmals oder die "Substanz" betreffen, benötigen einen Antrag. Und die Beratung kostet. "Es wird von Halbstundensätzen geredet", berichtet Boldt. "Und 40 Euro für eine halbe Stunde finde ich ganz schön happig." Denkmalschutzamt-Leiterin Joss ist es wichtig zu betonen, dass nicht jeder Umbau davon betroffen ist: "Wenn jemand beispielsweise seine Küche oder sein Badezimmer austauschen möchte, dann sprechen wir nicht mit. Es ist aber sinnvoll, trotzdem mit uns Kontakt aufzunehmen, weil man im Denkmal-Kontext nämlich eine höhere steuerliche Absetzung geltend machen kann."
Wertminderung durch Denkmalschutz?
Der Vorsitzende der CDU-Fraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft Dennis Thering vergleicht die Unter-Denkmalschutz-Stellung mit einer Teilenteignung, "weil die Immobilienpreise natürlich deutlich bis zu 30 Prozent zurückfallen. Weil kaum jemand Interesse daran hat, ein Denkmal zu kaufen, bei dem er gar nicht weiß, was er noch ändern kann und ob er eine Genehmigung dafür kriegt." Eine Wertminderung könne Joss im Moment hingegen nicht beobachten: "Nach der Unterschutzstellung wurden weiterhin Gebäude verkauft, also gehe ich davon aus, dass der Markt weiter funktioniert."
Die Nachbarschaft will sich damit nicht abfinden - und entdeckt sich dabei als Gemeinschaft. "Man lernt dadurch unheimlich viele neue Nachbarn kennen. Das schweißt zusammen", meint Manfred Boldt. "Wir haben eine sehr schöne Nachbarschaft", findet auch Jutta Boldt.