Stralsund gibt NS-Raubkunst zurück
Die Stralsunder Bürgerschaft hat am Donnerstagabend über die Rückgabe von NS-Raubkunst entschieden. Alle 38 anwesenden Bürgerschaftsmitglieder haben für die Rückgabe der unrechtmäßig erworbenen Kunstgegenstände und Kulturgüter gestimmt.
Bei einem sogenannten Erstcheck sind 112 Objekte, die in der Zeit zwischen 1933 und 1945 in den Bestand des Stralsund-Museums gekommen sind, ohne geklärte Provenienz aufgefallen. Die Herkunft war in den Inventarbüchern nicht vermerkt, die Objekte wurden aber an aufeinanderfolgenden Tagen gelistet. Im Jahr 2021 konnte mithilfe von Geldern aus Bundesmitteln eine Forschungsstelle eingerichtet werden. Bei 104 Exponaten hat sich daraufhin der Verdacht auf NS-Raubkunst erhärtet.
Viele Objekte, um die es geht, gehörten der damals in Stralsund ansässigen Freimaurerloge "Gustav Adolf zu den drei Sternen", die von den Nationalsozialisten verboten wurde, sowie dem jüdischen Antiquar John Horneburg, dessen Geschäft in der Stralsunder Altstadt zwangsaufgelöst wurde. Dazu gehören Gemälde und Kunstgegenstände, aber auch Aquarelle, Fotografien, Bücher und Haushaltsgegenstände. Gelistet sind auch Gemälde, deren Herkunft sich nicht genau ermitteln lässt, die aber aus Auktionen stammen, bei denen davon auszugehen ist, dass die Kunstwerke nicht rechtmäßig erworben wurden.
Bürgerschaft entscheidet über Regelung
80 Jahre nach der NS-Zeit beschloss die Bürgerschaft, wie Stralsund künftig mit der NS-Raubkunst umgehen will. Entschieden wurde, dass Stralsund die Objekte zurückgeben wird. Die Objekte sollen pauschal in ein Rückgabeverfahren gehen dürfen, sofern sich Nachkommen oder Nachfolge-Organisationen finden lassen, wie zum Beispiel die Freimaurerloge Deutschland, denen die Objekte übergeben werden können. Ein Enkel des Antiquars John Horneburg ist dem Museum ebenfalls bekannt. 80 Jahre nach Ende der NS-Zeit sei es notwendig, endlich Klarheit zu schaffen, so Museumsdirektorin Maren Heun. Es gehe nicht darum, ob die Objekte an sich wertvoll seien. Viel wichtiger sei, dass Schritte zur Wiedergutmachung unternommen würden, an den Menschen, denen damals Unrecht angetan wurde. Die Rückgabe sei vielmehr moralische Pflicht.
Frühere Besitzer werden gesucht
Mit der Entscheidung der Bürgerschaft hat das Museum jetzt ein weiteres Forschungsziel. Wichtig sei, so Maren Heun, mit Rückgaben nicht neues Unrecht zu schaffen. Im nächsten Schritt werden die rechtmäßigen Erben ermittelt. Viele Museen haben ihre NS-Geschichte inzwischen aufgearbeitet. Dabei geht es nicht immer um Rückgaben, sondern auch um Ankäufe oder Dauer-Leihgaben, bei denen die eigentlichen Besitzer kenntlich gemacht werden oder die Provenienz der Objekte öffentlich gemacht wird.
Moralische Verpflichtung zur Rückgabe
1998 wurde in Washington ein Abkommen getroffen, an dem sich viele Länder beteiligten. Damit wurde weltweit aufgefordert, die Bestände von Museen, Archiven und Bibliotheken offenzulegen, um Menschen, die enteignet wurden, die Möglichkeit zu geben, ihren Besitz wiederzufinden. Dabei ging es auch um die Kolonialgeschichte vieler Länder.
Deutschland verpflichtete sich in dem Zusammenhang ein Jahr später dazu, die Bestände selbst auf NS-Raubkunst zu durchsuchen. Rückgaben sind nicht zwingend, aber die meisten Museen bemühen sich zumindest darum, die Besitzverhältnisse zu klären. In Mecklenburg-Vorpommern gibt es keine weiteren Fälle mit solcher Brisanz. Das frühere Provinzialmuseum für Neuvorpommern und Rügen, das später den Namen Kulturhistorisches Museum bekam und seit 2015 Stralsund-Museum heißt, war schon im vergangenen Jahrhundert mit seiner außerordentlichen Sammlung und dem Standort im Katharinenkloster eines der wichtigsten Museen der Region. Seit Ende 2020 ist es für eine Generalsanierung geschlossen. Die Stadt hat jetzt die erste Hürde genommen, das schwierige Erbe ihrer Vorfahren anzunehmen. Ungeschehen lässt sich das nicht mehr machen, so die Museumsdirektorin, aber wir versuchen, was wir können, wieder gut zu machen.