Buddha-Kopf aus der Umzugskiste: Der lange Weg der NS-Raubkunst
Das Hamburger MARKK gibt einen Buddha-Kopf zurück, der einer jüdischen Emigrantin gehörte und von den Nazis geraubt und versteigert wurde. Warum hat es bis zur Rückgabe so lange gedauert? Und was passiert jetzt mit dem Objekt?
Anmutig steht er auf einem dunkelgrauen Marmorsockel im MARKK: ein Buddha-Kopf. Seine Augenlider sind halb geschlossen, er hat ein leichtes Lächeln auf den Lippen. Vermutlich stand er in einem chinesischen Tempel. Wer ganz genau hinsieht, der erkennt, dass schon mal eines seiner langen Ohren abgefallen ist, auch die Nase hat einen Riss. Der Buddha-Kopf aus China - vermutlich aus dem 14. bis 17. Jahrhundert - hat eine bewegte Vergangenheit hinter sich.
Buddha-Kopf gehörte der Jüdin Johanna Ploschitzki
Der Buddha-Kopf gehörte einst der Jüdin Johanna Ploschitzki aus Berlin-Dahlem, wie die Provenienzforscherin Dr. Kathrin Kleibl 2019 bei Recherchen im Staatsarchiv herausfand. Für ein Forschungsprojekt des Deutschen Schifffahrtsmuseums sucht sie nach den im Hamburger Hafen von den Nationalsozialisten beschlagnahmten und anschließend versteigerten Umzugsgütern jüdischer Emigranten. Ihre Ergebnisse hält sie in der LostLift Datenbank fest. Der NDR begleitete die Suche damals in der Dokumentation "Das Raubkunst-Puzzle - Suche nach Gerechtigkeit".
Bereits bei den Vorbereitungen zu dem Projekt stößt Kleibl auch auf die Versteigerungslisten des Umzugsgutes von Johanna Ploschitzki: 1.500 Positionen sind dort aufgelistet. Kathrin Kleibl deutet auf Zeile 626 und sagt: "Und hier haben wir eben diese Position: ein alter Kopf - erworben vom Museum für Völkerkunde. Das Gebot waren 500 Reichsmark." Die Liste wie auch eine dazugehörige Rechnung beweisen: Das Museum für Völkerkunde, das heutige MARKK, hat den Buddha-Kopf ersteigert. Kleibl informiert das Museum und erfährt, dass sich der Buddha-Kopf noch immer dort befindet.
Kunstwerke von Beckmann, Liebermann und Pissarro sind bis heute verschollen
Der Buddha-Kopf stand einst in der Bibliothek in Ploschitzkis Villa. Sie hatte ihn beim Pariser Kunsthändler Wannieck erworben. Ihr Mann Hermann Ploschitzki war Miteigentümer des späteren Karstadt Kaufhauses in Potsdam. Sie besaßen eine wertvolle Kunstsammlung - unter anderem mit Werken von Beckmann, Liebermann, Pissarro - die bis heute verschollen ist. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten floh Johanna Ploschitzki 1939 nach Los Angeles. Ihr gesamter Hausstand, darunter auch die Kunst, ließ sie in acht riesige Umzugskisten, sogenannte Liftvans, verpacken. Über den Hamburger Hafen sollten sie zu ihr ins Exil verschifft werden. Aber die Nazis beschlagnahmten 1941 die Umzugskisten und versteigerten alles - auch den Buddha-Kopf. Drei Tage lang dauerte die Versteigerung von Johanna Ploschitzkis Eigentum.
In der Nachkriegszeit ab November 1948 versuchte Johanna Ploschitzki mithilfe eines deutschen Anwalts in einem Rückersattungsverfahren ihr Hab und Gut von den Käufern zurückzufordern. Auf der Rechnung von der Gerichtsvollzieherei an das Museum für Völkerkunde ist der alte Kopf aufgeführt, mitsamt sechs anderen Objekten und alten Büchern. Das Wiedergutmachungsamt Hamburg ordnete 1950 die Rückerstattung an und das Museum gab sechs chinesische Figuren aus der Zeit der Tang-Dynastie an Ploschitzki zurück. Der Buddha-Kopf aber blieb unauffindbar.
Warum blieb der Buddha-Kopf lange unauffindbar?
Das lag an einem Schreibfehler in den Wiedergutmachungsunterlagen. Aus Position 626 "Alter Kopf" war in der Abschrift des originalen Versteigerungsprotokolls "Alter Topf" geworden. Das Museum erklärte daraufhin, die Position sei nicht zuzuordnen. Zudem zweifelt der damalige Museumsdirektor die Rechtmäßigkeit der Rückgabeforderung an, denn die Versteigerung sei "freiwillig" gewesen. Diese Begründung sei typisch zu dieser Zeit gewesen, sagt die Provenienzforscherin des MARKK Jana Reimers, denn es habe sich um einen "gutgläubigen" Ankauf gehandelt. Das Hab und Gut sei freiwillig zurückgelassen worden - diese perfide Lüge hatte im Nachkriegs-Deutschland lange Bestand.
Der Buddha-Kopf verstaubt daraufhin im Depot. Erst nahezu 80 Jahre später, während der Vorbereitung zur Ausstellung "Steppen und Seidenstraßen", rückt der Kopf wieder in den Blick des Museums und es wird deutlich: es handelt sich um NS-Raubgut. Außerdem stellt sich heraus, dass die Herkunftsbestimmung des Objektes falsch war. Es hieß, der Buddha-Kopf stamme aus Indien, anstatt aus China. Daraufhin lässt das Museum 2021 erstmals mit einem Forschungsprojekt, das vom Deutschen Zentrum für Kulturgutverluste gefördert wird, seinen Bestand auf NS-Raubgut überprüfen - auch die Geschichte des Buddha-Kopfes wird genauer untersucht. 2021 kontaktieren auch die Anwälte von Ploschitzkis Erben das Museum und das Rückgabeverfahren wird eingeleitet.
Warum ist der Buddha-Kopf nicht eher in den Fokus des MARKK gerückt?
Mit der Unterzeichnung der Washingtoner Prinzipien hat sich Deutschland verpflichtet die Bestände der Museen nach Raubkunst zu durchleuchten. Warum ist der Buddha-Kopf nicht eher in den Fokus des Museums gerückt? MARKK-Direktorin Barbara Plankensteiner, die seit 2017 das MARKK leitet, sagt, das Museum habe 2018 mit Provenienzforschung im kolonialen Kontext begonnen. Vorher habe es keine Provenienzforschung im Haus gegeben. Erst seit 2021 wird NS-Raubkunst in den Blick genommen. Die Sammlung umfasse etwa 200.000 Objekte. "In der Regel ist nicht jedes Werk genau dokumentiert." Die Rückgabe des Buddha-Kopfes habe eine große Bedeutung, so Plankensteiner, "weil es seit vielen Jahren das erste Mal ist, dass wir ein Kunstwerk aus jüdischem enteignetem Kulturgut aus unserem Museum zurückgeben."
Johanna Ploschitzki hatte zwei Töchter. Ihre Erben in den USA werden von zwei deutschen Anwälten vertreten, die nach der verschollenen Kunstsammlung suchen. Ewald Volhard aus Berlin vertritt eine Stiftung, die beerbt wird, die American Friends of the Hebrew University. Louis Rönsberg aus München vertritt den Ur-Enkel Steven Maass. Beide Seiten haben Anspruch auf das Objekt. Der Buddha-Kopf habe im Wohnzimmer der Ur-Großmutter seines Mandanten gestanden, erzählt Rönsberg und sei eine Brücke in die Vergangenheit. "Insofern hat er auch eine große symbolische Bedeutung und emotionalen Wert für unseren Mandanten".
Langer Zeitraum zwischen Auffinden des Kopfes und der Rückgabe
Kathrin Kleibl freut sich, dass der Buddhakopf sich nach 83 Jahren wieder in den Händen der rechtmäßigen Eigentümer befindet. "Gleichzeitig hoffe ich, dass bald auch noch weitere Objekte von den in Hamburg versteigerten Umzugsgütern der über 2.500 jüdischen Familien gefunden und zurückgegeben werden können. Denn diese Gegenstände sind häufig die einzigen Erinnerungsstücke an ihre Großeltern und Urgroßeltern. Wir alle wissen, wie wichtig diese für die eigene Familiengeschichte sind."
Zwischen dem Auffinden im Depot und der Rückgabe heute sind mehrere Jahre vergangen. Wie kann das sein? Bei dem Buddha-Kopf handele es sich um öffentliches Eigentum, sagt Anwalt Louis Rönsberg. Der Staat dürfe nichts verschenken, insofern müsste das sauber geprüft werden. "Dafür haben wir auch Verständnis. Aber dass es vier Jahre dauert, ist dann doch schwer nachzuvollziehen." Die Kulturbehörde sagt dazu: Im vorliegenden Fall wurde die Klärung des Sachverhalts zeitlich auch erschwert, durch Corona-bedingte Einschränkungen in den Arbeitsabläufen.
Rechtlich ist die Freie und Hansestadt Hamburg verpflichtet nicht nur die Provenienz zweifelsfrei zu klären, sondern auch, an wen ein Objekt zurückzugeben ist. Hier muss zunächst auch eine Einigkeit der Erbengemeinschaft erzielt werden. Erst wenn diese komplexen Prüfungsschritte erfolgt sind, kann die Stadt den Prozess der Rückgabe auch formal beginnen.
Wie geht es nun mit dem Buddha-Kopf weiter?
Für hochbetagte jüdische Nachfahren, wie den Ploschitzki-Erben Maass sei das schwer nachzuvollziehen, so Rönsberg: "Es dauert mal kürzer und mal länger, aber auch in so einem Fall, indem ja die Situation, die Rechtslage eigentlich ganz klar war, ein verfolgungsbedingter Entzug belegbar war, dauert es dann doch um die zwei, drei Jahre, bis man dann wirklich eine Rückgabe hat. Das ist nicht immer einfach vermittelbar."
Und wie geht es nun weiter mit dem Buddha-Kopf? Der Anwalt Ewald Volhard sagt, der Buddha-Kopf werde über ein internationales Auktionshaus verkauft, und der Erlös wird zwischen den Erbberechtigten aufgeteilt. "Unsere Aufgabe als Anwälte ist es, die Parteien dahingehend zu beraten, dass sie den maximalen Erlös kriegen, nur das ist fair." Steven Maass überlegt mitzubieten. Zu gern hätte er das geliebte Kunstwerk seiner Ur-Großmutter zurück. Der Buddha-Kopf aus der Umzugskiste wird also ein zweites Mal versteigert - dieses Mal aber legal.