Was für ein großer Spaß: Saša Stanišić in Hannover
Er ist ein Fabulierer, ein Poet, ein Unterhalter - seit fast 20 Jahren veröffentlicht Saša Stanišić Bücher. Nun war er mit seinem aktuellen Erzählband im Kleinen Sendesaal des NDR in Hannover. Ein inspirierendes Vergnügen.
Wir alle mögen ihn. Alle, die wir da waren, ihm zugesehen, zugehört haben, wie er mit seinem aktuellen Buch „Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne.“ in der Hand am Bühnenrand auf und abgegangen ist, in quietschenden Turnschuhen, vor vollem Saal. Wie er gelesen hat – oder hat er gar nicht gelesen? Steht das, was er erzählt, wirklich schwarz auf weiß auf diesen Seiten? Oder fabuliert er frei, für uns, aus purem Spaß an der Sache?
An einem heißen Weinbergnachmittag im Juni 1994, warf Fatih einen Stein in die Luft, und wir anderen, wir versuchten, seinen Stein mit unseren Steinen zu treffen, da sagte Fatih, "Wartet mal kurz", und die Steine prasselten zu Boden. Aus: "Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne"
Es geht um ein Memory-Spiel und doch um viel mehr
Es ist keine Lesung, zu der Stanišić auf Einladung von NDR Kultur und des Literaturhauses da gekommen ist. Es ist eine Performance. Wie ein spitzbübischer Junge guckt, liest, schmunzelt Stanišić, wenn er liest oder eben performt:
"Wie super wäre es", fuhr Fatih fort, "wenn es einen Proberaum für das Leben gäbe? Du gehst in ihn rein und du kannst so zehn Minuten von deiner Zukunft probieren, so wie bei Deichmann, nur nicht mit Schuhen sondern mit Schicksal. Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne"
Worum es in den Erzählungen geht? Eben, um Fatih und seine Idee eines Proberaums für das Leben. Es geht um einen Vater, der gegen seinen Sohn im Piraten-Memory verliert, immer, und der das Spiel jetzt entsorgen will…
Er steht vor den Mülltonnen im Hof und zögert. Ist das Piraten-Memory Restmüll oder gelbe Tonne? Oder ist das Piraten-Memory Papier? Aus: Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne"
Es geht um viel Fantastisches:
Ich besitze einen Pudel namens Tortenheber? Und ich darf Tortenheber zur Arbeit mitbringen als einziger? Obwohl man Tiere gar nicht mitbringen darf, weil sich alle bei mir einschleimen wollen, sogar mein HiWi Mecklenburg. Der hasst Hunde und der streichelt Tortenheber immer. Aus: "Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne"
Kurz: Es geht um die Zukunft. "Eins ist, dass ich in einem Alter jetzt bin, in dem ich mir viele Gedanken mache über das Alter", erzählt der 46-Jährige. Er stelle sich die Frage, wie er alt werden möchte - mit seiner Familie, in der Nachbarschaft. Was er seinem Körper zumute? "Das ist eine Zukunftgerichtheit, die ich vor 10, 20 Jahren so nicht hatte. Da war ich viel unbeschwerter, was das angeht."
Spannungsfeld zwischen Persönlichem und Politischem
Diese persönliche Perspektive bildet immer den Kern der Erzählung. Das große Ganze, die gesellschaftspolitische Ebene, verhandelt Saša Stanišić nebenbei - so wie in der Piraten-Memory-Geschichte. "Ich mag diesen Gegensatz, diese Spannung, die dadurch entsteht. Es kommt immer wieder unverhofft Politik rein", sagt der Autor. In jener Geschichte etwa, gehe es ja eigentlich darum, ob eine Vater ein Memory nun wegschmeiße oder nicht.
Stanišić ist nicht einfach nur spontan und witzig. Katja Weise, NDR Redakteurin und Moderatorin des Abends, entlockt ihm im Gespräch Tiefgründiges, Herzerwärmendes. Auch darum mögen wir ihn, alle, die wir da waren. Und das, obwohl er zu einem sehr fragwürdigen Lied von Heidi Kabel auf die Bühne gekommen ist. "Ach wie tut Ihr mir nur alle schrecklich leid, wenn Ihr nicht aus Hamburg an der Elbe seid", singt da die norddeutsche Volksschauspielerin. Stanišić hat sichtlich Spaß: "Ich dachte wenn, dann kann ich das in Hannover bringen. Ich weiß, dass es so ein kleines Necken zwischen den Städten gibt." Er wisse aber auch, dass das nicht so ernst genommen werde. "Es sind eben nur zwei Leute gegangen", schiebt er scherzhaft hinterher.
Und Sie? – Sie mögen ihn doch auch…!
Die ganze Lesung mit Sasa Stanisic ist am 6. Oktober ab 20 Uhr im Sonntagsstudio zu hören.