"Nosferatu" in Braunschweig: Was macht den Dracula-Stoff so aktuell?
Eine Neuverfilmung von "Nosferatu" ist im Januar im Kino angelaufen und auch am Staatstheater Braunschweig wird der berühmte Vampir auf die Bühne gebracht. Aber was macht den Dracula-Stoff so aktuell, geheimnisvoll und süchtig? Ein Gespräch mit Regisseur Christoph Diem und Dramaturg Holger Schröder.
"Nosferatu" ist wieder "in". Gerade ist eine Neuverfilmung von "Nosferatu" in den Kinos gestartet. Auf der Bühne saugt der Vampir am Staatstheater Braunschweig. Worum geht es? Graf Orlok will in Wismar eine Immobilie kaufen, um den Vertrag unter Dach und Fach zu bringen, schickt Makler Knock seinen jungen Mitarbeiter Hutter nach Transsylvanien. Dort wird er im Schloss Orloks empfangen und gebissen. Die Geschichte beginnt. Nosferatu, ein fabelhafter Untoter, ein ikonischer Film, ein Meisterwerk.
Am Braunschweiger Staatstheater inszenieren Regisseur Christoph Diem und Dramaturg Holger Schröder mit ihrem Team den Dracula-Stoff. Herausgekommen ist ein Mix aus Live-Pop-Konzert und Schauspieltheater. Was "Nosferatu" so aktuell macht, geheimnisvoll und süchtig zugleich, das erzählen beide Janek Wiechers in NDR Kultur à la carte. Einen Ausschnitt davon lesen Sie hier, das ganze Gespräch können Sie oben auf dieser Seite und in der ARD Audiothek hören.
Das Vampir-Genre scheint, genau wie Dracula, unsterblich zu sein, es gibt stetige Beliebtheit durch die Jahrzehnte hindurch. Gerade ist zum Beispiel ein neuer Vampirfilm angelaufen, eine Neuverfilmung von "Nosferatu" in der Regie von Robert Eggers mit Willem Dafoe. Ist das Zufall oder haben Sie sich von der filmischen Renaissance des Nosferatu-Stoffs inspirieren lassen?
Christoph Diem: Ich glaube, dass der Stoff gerade modisch ist, weil wir so viele Varianten haben. Es wird momentan auch viel am Theater gespielt. Die vielen Varianten des Dracula- und Nosferatu-Stoffs könnten etwas damit zu tun haben, dass wir in unseren eigenwilligen Zeiten mit Dräuendem, dem wir nicht wirklich aus dem Weg gehen können, konfrontiert sind. Es ist ein Gefühl des Ausgeliefertseins. Das ist ein hinreichender Grund, sich mit den Stoffen zu beschäftigen, die genau das exakt darstellen.
Diese Überforderung der Figur, eine Tatsache nicht ändern zu können, der nahende Tod, das Schiff mit den Ratten, die die Pest nach Wismar bringen, der Vampir, der sich auf den Weg macht, um ein Haus zu kaufen und Unglück über das ganze Land zu bringen: All diese Punkte können stellvertretend für unsere heutige Zeit stehen, wenn wir uns die Entstehungsgeschichte von Murnaus Stummfilmklassiker anschauen. Er ist direkt nach dem Ersten Weltkrieg entstanden. Die große Katastrophe, die Tod und Verderben über die ganze Welt und Europa gebracht hat, ist gerade vorbei. Der Zweite Weltkrieg dämmert bereits am Horizont auf. Die Ratten und die Pest können wir durchaus symbolisch lesen für den erstarkenden Nationalsozialismus. Jetzt droht die nächste Katastrophe in dieser Welt. Was würden Sie sagen, wie aktuell ist dieser Stoff aus Ihrer Sicht? Ist das auch ein Grund dafür gewesen, ihn deshalb auf die Bühne zu bringen?
Diem: Ich weiß gar ich, ob ich hier wirklich kundig und aufgerufen bin, die Weltlage zu deuten. Das möchte ich mir gar nicht anmaßen. Ich kann nur sagen, es fühlte sich im Augenblick der Konzeptfindung und beim Beginn der Inszenierung ganz und gar richtig an. Das passt sehr in diese Zeit.
Holger Schröder: Ich würde sagen, die Leute werden sich das schon selber rausziehen, was für Sie eine Relevanz oder eine Aktualität hat. Das macht dieser Abend möglich. Rein historisch gesehen, war es nicht nur der Erste Weltkrieg, der gerade zu Ende gegangen war, sondern es gab auch die verheerende Spanische Grippe, die sicherlich auch im Murnauschen Film durch dieses Bild der Ratten anklingt. Aber ich finde, das was Sie da gerade gemutmaßt haben, durchaus nachvollziehbar. Ich würde aber auch sagen, die Leute sollen sich selber ein Urteil fällen.
Man darf sich das Stück nicht als klassisches Theaterstück vorstellen: Ihre Inszenierung ist vielmehr. Es ist eine Mischung aus Filmscreening, Dialogen, Live-Musik von Pär Hagström und seiner Band und slapstickartigen Einlagen. Sie haben eine Band auf der Bühne, die ein durchaus zentraler Bestandteil der Inszenierung ist. Da wird durchaus sehr stark mit klassischer Theatertradition gebrochen.
Diem: Es ist ein Hybrid. Wir arbeiten in verschiedenen Schichten. Wir haben eine Schicht, das ist die der Darstellenden, das klassische Theaterspiel. Wir haben eine Schicht, die eine sehr aufwendige Videoinstallation ist, in der die Darstellenden agieren. Und wir haben ein Live-Rockkonzert, mit einer richtigen Kapelle mit einem Rockgitarristen, einem Schlagwerker und zwei Menschen an den Tasten, die auch singen, szenisch eingreifen und mitspielen. Dadurch schauen wir durch mehrere große Dia-Positive hindurch. Daraus setzt sich im Grunde genommen erst das ganze Erlebnis zusammen.
Die Musik ist ein essenzieller Teil. Dadurch bringen Sie auch etwas wie Pop- und Rock-Kultur in die Inszenierung. Diese Figur des Grafen Orlok, beziehungsweise des Nosferatu, ist heute so etwas wie Popkultur, wenn wir diesen Dracula-Stoff anschauen. Sie hat eine ganz eigene Ästhetik, die bis heute nachwirkt, maßgeblich geprägt von Murnaus legendärem Ausstatter Albin Grau. Ist dieser Stoff auch Popkultur?
Schröder: Ich würde das unbedingt bejahen. Wenn man alleine an diese ganze Reihe der Twilight-Verfilmungen denkt, spricht das absolut ein jüngeres Publikum an. Es hängt mit all den verschiedenen Facetten zusammen, vor allen Dingen diese Sehnsucht nach einer erfüllten Liebe, die sich aber eigentlich durch die äußeren Rahmenbedingungen nicht erfüllen kann. Das ist etwas, was die Größe und das Faszinierende dieser Figur vielleicht noch am besten beschreibt. Das ist, glaube ich, auch der Punkt, wo jüngere Menschen sich in ihren eigenen Sehnsüchten gespiegelt sehen.
Das Interview führte Janek Wiechers in NDR Kultur à la carte. Das ganze Gespräch können Sie oben auf dieser Seite und in der ARD Audiothek hören.