Édouard Louis - "Monique bricht aus": Flucht aus der Gewalt
Mit "Das Ende von Eddy" hatte Édouard Louis 2015 weltweit Erfolg. Darin thematisiert er, wie familiäre Gewalt sein Leben und das seiner Schwester und Mutter bestimmt hat. Seine Mutter steht in "Monique bricht aus" erneut im Fokus.
Monique bricht aus - zum zweiten Mal. Es ist sieben Jahre her, seit sie ihren Mann verlassen hat, nach 20 Jahren Ehe, nach Gewalt und all der Demütigung, unter der sie selbst und ihre Kinder gelitten hatten. Eins davon ist Édouard Louis, der sich befreien konnte und mittlerweile eine der wichtigsten literarischen Stimmen Frankreichs ist.
Ich erforsche ihre Kindheit und Jugend, stelle Fragen, die vor wenigen Jahren undenkbar gewesen wären, ich bin der Archäologe meiner Mutter. Leseprobe
Das bekennt der heute 32-Jährige freimütig. Seine Mutter, Monique, sie ist Gegenstand seiner Forschung. An ihr bemisst er seine eigene Befreiung. Freiheit, schreibt der Autor, habe immer einen Preis. Körperlich, seelisch und materiell.
Schließlich könnte ich sagen, dass ich keine Freiheit kenne, die nicht gleichzeitig ein Ausbruch ist, eine Befreiung von Gewalt und damit in gewisser Weise eine Folge von ihr. Leseprobe
Flucht der Mutter ist Beginn einer Metamorphose
Sein neues Buch beginnt mit ihrem Hilferuf: Die Mutter ruft ihn unter Tränen an, sie will ihren Partner verlassen, mit dem sie seit sieben Jahren in Paris wohnt.
Er beschimpfte sie selbst jetzt, wo sie durch das Handy zu mir sprach, ich hörte alles mit, ich hörte, wie dieser Mann zu ihr sagte, sie sei nichts als eine Schlampe, eine Nutte, ihr Sohn - ich - sei nichts als eine Schwuchtel. Leseprobe
Édouard ist nicht vor Ort, in Paris, sondern mit einem Residenzprogramm in Athen. Also beginnt er aus der Ferne, ihre Flucht zu organisieren, verfolgt auf seinem Display, wie sich ihr Taxi in Bewegung setzt, weg aus der Sphäre der Gewalt. Der Autor nennt es den Beginn einer Metamorphose.
Männliche Gewalt liegt wie ein Schatten auf dem Buch
Er bringt sie mithilfe seines Freundes Didier, gemeint ist der Autor Didier Eribon, in seiner eigenen Wohnung unter. Er besorgt ihr Essen mittels Online-Bestellung. Zeigt ihr, wie man einen Computer bedient. Er greift in ihr Leben ein. Dabei kommen ihm Erinnerungen an die Kindheit, die eigene Armut.
Wie viele Jahre dauert es, bis man die Wirklichkeit der eigenen Kindheit wahrnimmt? Leseprobe
Das Interessante an diesem Buch: Im Grunde genommen ist es weder Roman noch Tatsachenbericht. Es ist ein Dokument der Befreiung. Die Sprache liest sich leicht. Kein Wort ist zu viel. Und es ist die Auseinandersetzung eines Sohnes mit der Frage: Darf ich die Not der Mutter öffentlich machen? Er bejaht es.
Die Gewalt der Männer liegt wie ein Schatten auf dem Buch, Gewalt als Spirale aus Armut und mangelnder Bildung. Geht die Mutter wieder zurück zu ihrem Ex-Freund, wird es zu Übergriffen kommen? Édouard sucht für Monique eine neue Wohnung, ruft dafür nach Jahren seine Schwester in der nordfranzösischen Provinz an, gemeinsam organisieren sie den Umzug. So gut wie jeder investierte Euro wird aufgelistet, um zu zeigen, was Freiheit kostet. Das Buch hat eine Mission.
Lesen wird zur Grenzerfahrung
Es gipfelt in einer besonderen Einladung, nach Hamburg. Regisseur Falk Richter hat den Roman "Die Freiheit einer Frau" über Moniques ersten Ausbruch für das Deutsche Schauspielhaus 2022 inszeniert. Er fragt Mutter und Sohn, ob sie kommen möchten. Für sie ist es der erste Flug, der erste Besuch im Ausland. Dort wird sie auf der Bühne bejubelt und als mutige Frau gefeiert.
Ich sah den Nacken meiner Mutter wenige Meter vor mir, ihr Haar, das sie zur Feier des Tages gefärbt und frisiert hatte, ihren Körper, der sich immer gelöster bewegte, immer freier, ihre Faust, die sie in die Höhe reckte, und dachte: Sie hat gewonnen. Leseprobe
Dank seiner Nähe durchsucht der Autor die Zone der Scham, des Schweigens und lässt sie hinter sich. Édouard und Monique werden Freunde. Als "Archäologe" seiner Mutter geht er wirklich nah an sie heran. Dadurch wird das Lesen zur Grenzerfahrung, weil er die Befreiung zum sozialen Akt erhebt, sie für alle postuliert. Seine Wahrheit lautet: Freiheit kostet, immer. Und sei es das Privateste.
Monique bricht aus
- Seitenzahl:
- 160 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Fischer
- Bestellnummer:
- 978-3-10-397558-1
- Preis:
- 42 €
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Romane
