Kritik an PISA-Studie: "Da werden Äpfel mit Birnen verglichen"
Am Dienstag ist die neue weltweite PISA-Studie erschienen - aber ergibt sie überhaupt Sinn? Der Pädagoge und Historiker Rainer Bölling kritisiert, dass die Studie ein "völlig verzerrtes" Bild beim Ranking der Nationen zeichnet und deshalb falsche Schlüsse gezogen werden.
Herr Bölling, man hat im Vorfeld die Schülerinnen und Schüler als die großen Leidtragenden der Corona-Pandemie bezeichnet. In der neues PISA-Studie werden diese Elemente miteinbezogen. Was glauben Sie: Hat Corona sichtbare, messbare Spuren hinterlassen?
Rainer Bölling: Das ist ganz schwer einzuschätzen, weil die Daten noch fehlen. Die Ergebnisse der Bildungstrends, die letztlich veröffentlicht wurden, haben schon deutlich schlechtere Ergebnisse gezeigt, die man möglicherweise auf Corona zurückführen kann. Es ist aber immer schwierig, solche rein zahlenmäßig erfassten Veränderungen zu deuten und die Ursachen klar zu benennen. Auf der anderen Seite sind die Abschlussnoten, die Abiturnoten und so weiter unter Corona deutlich besser geworden, nicht nur in Deutschland, sondern international. Aber das bedeutet nicht, dass die Schüler besser geworden sind, sondern es sind Erleichterungen geschaffen worden, und es hat wahrscheinlich auch Empfehlungen zu einer großzügigeren Benotung gegeben. Insofern ist das aus meiner Sicht sehr schwer zu sagen, was Corona wirklich bewirkt hat.
Generell äußern Sie sich immer skeptisch zur PISA-Studie. Was stört Sie genau?
Bölling: Eine ganze Reihe von Dingen. Ein großes Problem ist zum Beispiel dieses Nationen-Ranking, das immer im Vordergrund steht. Da werden Äpfel mit Birnen verglichen. Ich will das kurz erläutern: PISA testet Stichproben, die repräsentativ sein sollen für die 15-Jährigen, um die es geht. Bei diesen Stichproben werden in den Ländern ganz unterschiedlich viele Schülerinnen und Schüler erfasst. Beim letzten Mal war Deutschland Spitzenreiter, hatte 99,3 Prozent Erfassungsquote. Das heißt, so gut wie alle Schüler wurden durch diese Stichprobe repräsentiert. In anderen Ländern lag man unter 90, manchmal auch unter 80 Prozent. Und das wird dann miteinander verglichen, als wenn es dasselbe wäre. Durch den Zustrom von Migranten ist in Schweden der Erfassungsgrad um acht Punkte auf 86 Prozent zurückgegangen - in Deutschland ist er gestiegen. Das Ergebnis: Schweden hat sich mit den Zahlen verbessert und Deutschland hat sich verschlechtert. Das ist aber ganz offensichtlich darauf zurückzuführen, dass man in Schweden gesagt hat: Wir haben viele Migranten, die nicht hinreichend die Test-Sprache können - also lassen wir sie raus. In Deutschland werden offenbar alle getestet, egal, ob sie dem gewachsen sind oder nicht. Von daher bedeutet dieses Nationen-Ranking eine enorme Verzerrung.
Also werden auch falsche Schlüsse aus der PISA-Studie gezogen?
Bölling: Ja, sicher. Diese Daten sind nicht vergleichbar.
Es gibt also keinen Grund, neidisch nach Singapur, Finnland oder Südkorea zu schauen, sondern eher auf das eigene Bildungssystem und das konsequent zu verbessern, richtig?
Bölling: Ja, richtig. Der Vergleich bringt uns nichts. PISA liefert eine Menge an Daten, die interpretiert werden müssen, die teils falsch interpretiert werden. Und deshalb kann man daraus keine wirklichen Schlüsse auf Verbesserungen ziehen.
Was empfehlen Sie der Bildungspolitik für die Zukunft?
Wir sollten uns auf die Probleme konzentrieren, die wir im Lande haben. Das Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen führt diese Tests durch - da wird also festgestellt, wo Probleme sind. Allerdings haben wir da zum Beispiel das große Problem des Lehrermangels, und der Trend eines sinkenden Lehrerbedarfs ist bis 2012 nicht gesehen worden. Aber dann sind die Geburtenquoten wieder etwas angestiegen und die Migrationswelle kam dazu, was jetzt einen enormen Bedarfsschub bedeutet, auf den schwer zu reagieren ist. Die Ausbildung von Lehrern dauert nun mal etliche Jahre, und der Notbehelf ist, dass man jetzt verzweifelt nach Seiteneinsteigern sucht.
Das Interview führte Philipp Schmid.