Quereinsteiger als Lehrkräfte: Klassenzimmer statt Physiklabor
Überall im Norden mangelt es an Lehrerinnen und Lehrern. Etwa, weil geburtenstarke Jahrgänge in Rente gehen oder die Schulen viele geflüchtete Schülerinnen und Schüler aufnehmen. Der steigende Bedarf wird auch mit Quereinsteigern gedeckt.
Martin Münning steht in einem Raum mit Schränken voller Messgeräte und Lötkolben. Er ist Diplom-Physiker. Seit zehn Jahren steht der 44-Jährige aber an der Stadtteilschule in Hamburg-Wilhelmsburg als Lehrer im Klassenzimmer - und das ohne klassisches Lehramtsstudium. "Gerade das Pädagogik-Studium hat am Anfang gefehlt, das hat man schon gemerkt", sagt Münning. Er sei im Kollegium aber gut aufgenommen worden, habe über die Jahre einiges gelernt und fühle sich mittlerweile gut und sicher.
Münning ist engagiert und hat viel pädagogische Fachliteratur gelesen. Negative Kommentare von Eltern aufgrund seines Quereinstiegs habe er bisher nicht mitbekommen, sagt der 44-Jährige. Im Gegenteil: Manche seien froh, dass er eine Lücke füllt.
Quereinstieg in Nordländern bereits etabliert
Der Lehrkräftemangel ist ein Problem im Norden. Alleine in Hamburg sind aktuell rund drei Prozent der Stellen unbesetzt. In Schleswig-Holstein haben zum August von rund 500 neuen Lehrkräften 66 als Quer- oder Seiteneinstieg eingefangen. In Niedersachsen machen Quereinsteiger etwa sechs Prozent der neu eingestellten Lehrkräfte im neuen Schuljahr aus. Das Bildungsministerium in Mecklenburg-Vorpommern wolle prüfen, ob Lehrkräfte, die im Ministerium arbeiten, wieder verstärkt in den Schulunterricht zurückkehren, hieß es im Juni.
Wichtig: Bereitschaft, sich auf Kinder einzulassen
Für die Leiterin der Stadtteilschule Wilhelmsburg, Katja Schlünzen, ist die Einstellung von Quereinsteigern ein wichtiger Schritt. "Wenn ich die Alternative habe als Schulleiterin zu sagen: Unterricht entfällt - oder ich finde einen geeigneten Quereinsteiger - dann setze ich lieber einen geeigneten Quereinsteiger ein und qualifiziere diese Person in der Schule."
Zwar merke man den Quereinsteigenden am Anfang das fehlende Pädagogikstudium an, sie punkteten aber mit wichtigem Fachwissen. An Schlünzens Schule sind von 158 Lehrkräften vier Quereinsteiger. Sie unterrichten in den Naturwissenschaften, im Wahlfach Modedesign und im Bereich Deutsch als Zweitsprache. "Wer als Quereinsteiger kommt, muss die Bereitschaft haben, sich auf Kinder einzulassen." Es gehe darum, modernes, digitalisiertes, individualisiertes, selbst gesteuertes Lernen anzunehmen und umzusetzen.
GEW fordert attraktive Arbeitsbedingungen
Im Kampf gegen den Lehrkräftemangel befürwortet die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) den Quereinstieg. Sie erwartet aber, dass die neuen Kolleginnen und Kollegen im Schulalltag unterstützt und qualifiziert werden. Außerdem fordert der Hamburger GEW-Landesvorsitzende Sven Quiring für sie eine faire Vergütung. Es müssten attraktive Arbeitsbedingungen geschaffen werden, sodass genügend junge, mittelalte und ältere Menschen sagen: "Ich hab' total Bock an Schulen zu arbeiten."
Unterricht als Herzensanliegen
Diesen Elan hat der Physiklehrer Münning mitgebracht. Seit acht Jahren ist er auch Klassenlehrer. "Ich habe das Gefühl, dass es für mich gut läuft. Es gibt da viele Schritte, die man gehen muss, und man muss offen dafür sein, Neues zu lernen. Und es muss zu einem passen." Münning ist überzeugt: Der Wechsel ins Klassenzimmer war für ihn die richtige Entscheidung. Und der Unterricht ein Herzensanliegen - auch ohne Lehramtsstudium.