Die Silhouetten von zwei Frauen und einem Mann am 24.11.2012 im Dunkeln. © picture alliance / ZB | Sascha Steinach
Die Silhouetten von zwei Frauen und einem Mann am 24.11.2012 im Dunkeln. © picture alliance / ZB | Sascha Steinach
Die Silhouetten von zwei Frauen und einem Mann am 24.11.2012 im Dunkeln. © picture alliance / ZB | Sascha Steinach
AUDIO: Konzerte im Dunkeln: "Ein gesamtkörperliches Erlebnis" (5 Min)

Konzerte im Dunkeln: "Ein Erlebnis für den gesamten Körper"

Stand: 28.01.2025 21:25 Uhr

Das "Orchester im Treppenhaus" aus Hannover hat mit "Dark Ride" oder "Dark Room" Formate entwickelt, bei denen das Publikum nichts sieht. Welche Wirkung das hat, erklärt der Künstlerische Leiter Thomas Posth im Gespräch.

Was kann klassische Musik heute? Das Orchester im Treppenhaus arbeitet seit einigen Jahren an einem erweiterten Konzertbegriff. Mit spielerischem Forschungstrieb untersucht es die Grenzen der Live-Situation, öffnet Türen zu neuen Hörerlebnissen, intimen Momenten und überraschenden Inhalten.

Herr Posth, warum machen Sie Konzerte im Dunkeln?

Thomas Posth: Wir entwickeln seit vielen Jahren sehr viele unterschiedliche Formate, und wir haben auch mehrere Dunkel-Formate entwickelt. Allen gemein ist, dass man, wenn man die Augen geschlossen hat oder wenn es dunkel ist, sehr viel besser hören kann. Das ist immer wieder frappierend, was das mit den Sinnen macht, wenn der Sehsinn ausgeschaltet ist. Wir profitieren bei einigen dieser Formate sehr stark davon, dass das Publikum gar nichts anderes wahrnimmt außer dem Hören, was dadurch extrem geschärft wird.

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Ein Mann steht vor einem Dirigentenpult und dirigiert. Seine Arme sind angewinkelt und er trägt seine Haare zu einem Dutt. © IMAGO / Rudolf Gigler Foto: Rudolf Gigler

Thomas Posth und das "Orchester im Treppenhaus" berühren alle Sinne

Das "Orchester im Treppenhaus" macht neugierig auf klassische Musik - vor allem mit Darkroom-Konzerten. Leiter Thomas Posth spricht über sein Konzept. mehr

Gibt es dabei spezielle Techniken, besondere Spielweisen?

Posth: Wenn man das gleiche Musikstück - egal wer da spielt - einmal mit offenen und einmal mit geschlossenen Augen hört, hört man einfach sehr viel mehr: Man hört es sehr viel plastischer, man nimmt sehr viel mehr wahr. Das ist eine ganz wunderbare Erfahrung, dass sich das so stark ändern kann.

Welche Rückmeldungen bekommen sie vom Publikum?

Posth: Es ist genau das: dass sie es viel intensiver wahrgenommen haben. Das ist auch eines unserer Ziele: klassische Musik so zu spielen, dass sie möglichst intensiv und berührend bei den Menschen ankommt.

Nehmen Sie Musik auch anders wahr, oder suchen Sie Musik anders aus, seit Sie dieses Format haben?

Menschen mit Schlafbrillen liegen in mehreren Reihen auf Feldbetten, im Hintergrund spielt ein Orchester © Anna Kristina Bauer
Das Publikum setzt vor dem Betreten des Raumes Schlafbrillen auf.

Posth: Auch wir hören unserem Publikum zu - das ist im Idealfall etwas, was in beide Richtungen geht. Ich weiß natürlich genau, wie sich jemand anfühlt in diesen Konzerten und welche Musik in dieser speziellen Situation am stärksten wirken wird.

Wofür ist es intensiver - fürs Fühlen oder fürs Denken?

Posth: Das ist ein gesamtsinnliches und auch ein gesamtkörperliches Erlebnis. Insofern würde ich da gar nicht so stark differenzieren. Ich bin grundsätzlich der Meinung, dass Musik vor allem emotional wirken und nicht vor allem übers Denken aufgenommen werden sollte. Aber dadurch, dass man danach so ein analytisches Hören hat, also sehr viel und differenziert wahrnimmt, ist sowohl die Emotion als auch das Denken sehr stark angesprochen.

Die Musikerinnen und Muskeln spielen auswendig, nehme ich an. Heißt das, noch besser aufeinander zu hören als im Hellen?

Posth: Auf jeden Fall. Das ist eine Schärfung für den Kopf und den Geist von allen, die da musizieren. Es ist extrem anspruchsvoll, gerade wenn man ganz im Dunkeln spielt, was wir auch öfter machen. Manchmal setzen wir dem Publikum nur Schlafbrillen auf, und wir können uns sehen. Aber wenn es wirklich ganz im Dunkeln ist, dann nehmen auch die Musikerinnen und Musiker sehr viel mehr wahr über die Ohren.

Die Schlafbrillen deshalb, weil man es den Menschen leichter machen will, nicht zu schummeln? Man könnte auch sagen: Macht einfach die Augen zu.

Posth: Das machen wir auch manchmal. Aber es hat tatsächlich einen großen Effekt. Es ist auch so, dass wir das Publikum schon vor dem Konzertsaal abfangen, denen die Schlafbrillen aufsetzen und sie reinbringen. Allein diese Tatsache ist ganz wunderbar, zu wissen, dass die sich uns anvertrauen, blind mit uns da reingehen und keine Ahnung haben, wo es hingeht. Sie wissen im Idealfall noch nicht mal, wie dieser Raum aussieht, in dem sie dann sind. Alles da drin füllt sich dann mit der Welt, in die sie eintauchen. Das ist schon sehr viel stärker, wenn man ein bisschen dazu gezwungen wird und nicht kurz mal die Augen aufmacht und doch schaut.

Wann und wo wird es das nächste Dunkel-Konzert geben?

Posth: Eines unsere Formate ist "Dark Room", in dem das Publikum mit Schlafbrillen im Konzert liegt. Wir werden Ende des Jahres in der Elbphilharmonie und in der Philharmonie in Essen einen unserer Dark Rooms aufführen, in dem es um den Wettlauf zum Südpol geht. Das ist ein ganz besonderes Erlebnis, weil man das Gefühl hat, wirklich mit dabei zu sein auf diesem endlosen Marsch durch die Schneewüste da unten und diese Tragik sehr hautnah mitbekommt, die von zwei Synchronsprechern live wie ein Hörspiel dargestellt wird. Wir machen dazu die ganzen Sounds: Wir zelebrieren die Schneewüste und die Stürme. Das machen wir alles live und spielen zwischendurch wunderbare Musik von Philip Glass und Nadia und Lili Boulanger, die zu der Zeit entstanden ist. Das ist ein Gesamterlebnis, aus dem man rauskommt und das Gefühl hat, sehr offen und sehr frei in eine Welt eingetaucht zu sein, die einen sehr stark berührt hat.

Das Gespräch führte Philipp Schmid.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Der Morgen | 28.01.2025 | 08:10 Uhr

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