Kolonialismus: Wie gedenkt Hamburg der Verbrechen?
Der Spiegel-Journalist Dietmar Pieper hat ein Buch über die koloniale Vergangenheit Hamburgs geschrieben. Darin beleuchtet er packend und nüchtern zugleich die Rolle hanseatischer Kaufleute.
In der Hafencity, im Baakenhafen, entsteht gerade ein ganz neuer Stadtteil - für Dietmar Pieper ist es allerdings ein Ort mit düsterer Vergangenheit. "Das ist der Ort, wo Anfang des 20. Jahrhunderts die Truppen nach Südwestafrika abgefahren sind. Die Hamburger haben gejubelt bei der Abfahrt - und auch bei der Rückkehr, als Kommandant Lothar von Trotha, der hauptsächlich verantwortlich war für diesen Völkermord, begeistert empfangen wurde."
Von Trothas Taten gelten als erster deutscher Genozid
Von Trotha wird in Hamburg gefeiert für seine Taten, die später als erster deutscher Genozid in die Geschichte eingehen. Fast 100.000 Herero und Nama sterben. Von Trotha selbst und Tausende von Soldaten - alle stachen vom Baakenhafen aus in See, ausschließlich mit den Schiffen des Reeders und Kaufmanns Adolph Woermann. Er hatte das Monopol. "Woermann war eigentlich der größte deutsche Kolonial-Akteur der damaligen Zeit. Er hatte das gesamte Portfolio - er hatte Schifffahrtslinien, er hatte Handelsstationen. Er war der eigentliche Gründer der Kolonie Kamerun", so Pieper.
"Rolle der Kaufleute muss völlig neu bewertet werden"
Das Geschäft des Handelshaus Woermann basiert auf Tausch - billiger Schnaps gegen wertvolles Palmöl. Besonders aktiv ist die Firma in Kamerun. Dort überredet Woermann die Stammesfürsten, ihm die ganze Verwaltung und Schätze ihres Landes zu übertragen. Und dann schafft er es noch durch geschicktes Taktieren, seinen neuen Besitz von der deutschen Regierung beschützen zu lassen. Woermann - ein Beispiel von vielen: Die Rolle der Hamburger Kaufleute in der Kolonialgeschichte müsse völlig neu bewertet werden, findet der Journalist Dietmar Pieper. Sie seien es gewesen, die Deutschland zur Kolonialherrschaft trieben.
Viele Straßen nach deutschen Kolonialherren benannt
Deutschen Kolonien - made in Hamburg? Die Hafencity - ein Erinnerungsort? Nichts hier zeugt davon. Im Gegenteil. Pieper prangert das an. "Es sind tatsächlich die alten Entdecker und Eroberer, die hier die Namenspatronen sind: Magellan, Marco Polo. Das ist wie aus einem alten Schulatlas, der klassische traditionelle Eurozentrismus, der ins 21. Jahrhundert nicht mehr reinpasst", sagt Pieper. Er glaube nicht, dass es eine bewusste Entscheidung war. Man habe einfach nicht richtig nachgedacht. Geschichtsvergessenheit in Hamburg? Noch immer sind hier einige Straßen nach deutschen Kolonialherren benannt. Obwohl die Stadt sich schon vor fast 10 Jahren verpflichtet hat, die Vergangenheit aufzuarbeiten.
Der Sitz der Firma Woermann - nach wie vor im denkmalgeschützten Afrikahaus. Kodjo Glaeser engagiert sich in der Initiative "Schwarze Menschen Deutschland" und ist im Beirat der Stadt zur Dekolonisierung. "Selbstverständlich muss eine Stadt wie Hamburg sich selber die Frage stellen: Will sie es im Ernst dulden, dass es eine Woermannstraße gibt? Der Mann hat profitiert und seinen Reichtum genau auf diesem kolonialen Elend und Leid aufgebaut - nur als Beispiel. Das sind Dinge, da müssen wir ran."
Kaffee aus brasilianischen Sklavenplantagen
Authentische Erinnerungsorte gibt es genug. Ein ganzes Viertel ist denkmalgeschützt: die Speicherstadt, die Kontorhäuser. Hier war das Drehkreuz für den Handel mit Kaffee, Tee, Gewürzen. "Diese Gebäude waren das Zentrum des Kaffeehandels", erklärt Pieper. "Und wie kam der Kaffee nach Hamburg? Der kam weitgehend aus Brasilien nach Hamburg. Ganz entscheidend war da ein Kaufmann namens Theodor Wille, der nun seinen gesamten Kaffee von den brasilianischen Sklavenplantagen bezogen hat."
Profit durch Ausbeutung. Theodor Wille wird zu seiner Zeit der reichste Mann Hamburgs. Und er ist Mitbegründer der heutigen Commerzbank. Die Commerzbank informiere allerdings nicht über diese Zusammenhänge, so Pieper. Auch in der Speicherstadt fehlten Hinweise, sagt er: "Wenn wir hier langgehen, sehen wir natürlich die sehr schön restaurierten alten Gebäude. Das Ganze hier ist UNESCO-Weltkulturerbe, aber über die Kolonialzeit finden wir hier gar nichts."
Auch die Wissenschaft stand im Dienst des Handels
Überall in Hamburg findet sich Koloniales. Die Theodor Wille AG legt ihr Geld im Mohlenhof an - heute Weltkulturerbe. Sogar die Wissenschaft steht Anfang des 20. Jahrhunderts ganz im Dienst des Handels: Die Uni - gegründet als "Kolonialinstitut". Und die Handelskammer? Reliefs von barbusigen Frauen mit Produkten aus aller Welt in den Armen zieren die Außenmauern - ein Weltbild in Stein gehauen. "Die Handelskammer als Zentrum der Welt. Europa zwischen den Kontinenten und überall schöne Ressourcen, die man nutzen kann. Das ist das Hamburger Selbstverständnis der Kolonialzeit", so Pieper.
Aufarbeitung der dunklen Epoche hat gerade erst begonnen
Nicht nur Gebäude und Namen, auch Denkmuster haben sich bis heute erhalten. Glaeser fordert einen Mentalitätswandel. "Die Grundvoraussetzung dafür ist auf jeden Fall, dass erst einmal der wirklich unbedingte Wille da sein muss, diese Fesseln des Kolonialismus zu sprengen", sagt er. Piepers Analyse ist eindeutig: Die Aufarbeitung dieser dunklen Epoche hat gerade erst begonnen. Reichlich spät!