Kinoverbandschefin Berg: "Das Kino wird nicht sterben!"
Christine Berg ist Vorsitzende des größten deutschen Kinoverbands HDF. Im Gespräch blickt sie auf die Zukunft des Kinos und beschreibt die Stimmung der deutschen Filmhausbetreiber als "verhalten positiv".
Frau Berg, Sie haben auch mal ein Praktikum im Kino gemacht und durften zum Beispiel Tickets verkaufen. Was haben Sie davon mitgenommen?
Christine Berg: Dieser Job ist härter, als ich gedacht habe. Man muss zum einen diese Konflikte vor Ort auffangen und auflösen. Es kommen zum Beispiel Leute und wollen wissen, ob sie mit dem elfjährigen Kind einen Film ab zwölf sehen können, oder wie das mit den Getränken ist - das ist schon relativ viel.
Ich habe auch gelernt, wenn man an der Kasse jemandem sehr freudig begrüßt und sagt, welchen Film man unbedingt sehen sollte, dass man auch manchmal Leute für den deutschen Film begeistern kann.
Wie ist die Stimmung der deutschen Filmhausbetreiber mit dem Blick auf das Jahr 2023?
Berg: Die Stimmung ist verhalten positiv. Wir haben jetzt drei Wochen hinter uns, die sehr, sehr positiv waren, "Avatar 2" hat uns noch mal einen Schwung gegeben und gezeigt, dass die Leute Lust auf Kino haben. Wir gehen aus dem letzten Jahr voraussichtlich mit einem Minus von 30 Prozent gegenüber 2019, aber mit einem Riesenplus gegenüber 2021. Deshalb glauben wir, dass die Leute das langsam wiederentdecken, dieses Erlebnis, diesen sozialen Ort für Kultur. Wir spüren, dass die Leute Lust haben, wieder etwas anderes zu erleben, als nur auf dem Sofa einen Film zu gucken.
Wir haben vor Weihnachten über Fatih Akins "Rheingold" berichtet, der bei unserer Filmkritikerin gar nicht gut ankam. Aber viel junge Menschen, die lange nicht im Kino waren, haben gesagt, dass man sich hier konzentrieren muss.
Berg: "Rheingold" war groß. Ich habe das auch mitgekriegt, dass die Kritiker den Film zerrissen haben - er hat aber den Nerv der Jugend getroffen. Wir haben Bilder und Videos aus Kinos gesehen, die unglaublich waren: Die Jugend ist gekommen und hat gefeiert. Viele von ihnen waren ganz lange nicht im Kino und fanden es großartig. Man sieht, dass man mit bestimmten Filmen und bestimmten Angeboten alle wieder ins Kino locken kann.
Oft waren es die technischen Innovationen, die das Kino immer wieder nach vorn gebracht haben: spektakulärer Sound, HD, 3D. Was kann da jetzt noch kommen? Wir sehen ja schon in höherer Auflösung, als das Auge wahrnehmen kann.
Berg: Da kann noch ganz viel kommen. Nicht nur die Technik auf der Leinwand, sondern zum Beispiel auch die Sitze: Wir haben relativ viele Kinos, die inzwischen - auch pandemiebedingt - neue Sitze eingebaut haben, die breiter sind, damit man nicht so nah an seinem Nachbarn sitzt, die mehr Komfort haben. Unser Publikum mag diesen Komfort.
Sehr beliebt ist auch die D-BOX, ein Sitz, der sich zum Film bewegt. Ich habe es auch mehrmals ausprobiert, und das ist schon groß. Ich bin da eher immer ein bisschen verhalten, aber dann macht man das bei einem Film, wo es passt, und das ist schon ein besonderes Highlight.
Das gibt es nicht in allen Kinos, aber da, wo es das gibt, ist das sehr beliebt. Die Leute mögen es auch sehr, am Platz bedient zu werden. Auch da bekommen wir so ein bisschen einen neuen Spirit, dass man im Kino einen guten Wein haben möchte inklusive Weinbegleiter - auch das ist die neue Art Kino. Neue Technik ist wichtig, aber auch: Wie fühle ich mich wohl?
Was auch immer stärker kommt, sind Events, wie zum Beispiel Opern oder Theaterstücke im Kino zu sehen. Gerade in der Fläche, wo die Leute nicht mal eben in eine Oper gehen können, ist das wahnsinnig beliebt. Die Kinos machen das auch super: Der Saal wird durch eine rote Kordel abgetrennt, es gibt einen kleinen Sektempfang, es gibt Schnittchen - es wird zelebriert als etwas Besonderes.
Wenn man nicht möchte, dass das Kino stirbt - was kann man tun, außer hingehen?
Berg: Erstmal muss ich sagen: Kino wird nicht sterben! Kino gibt es seit 127 Jahren und hat so viel erlebt: zwei Weltkriege, das Fernsehen, DVD, jetzt die Streamingdienste - und wir stehen immer noch da und lächeln. Also so schnell geht das mit uns nicht.
Was kann man tun? Natürlich hingehen, das ist das Wichtigste. Wir wollen gerne unser Publikum begeistern. Wir wollen, dass sie zu uns kommen, nicht nur alle fünf Jahre, sondern zwei- oder dreimal im Jahr - und nicht nur die großen Blockbuster anschauen.
Die sind toll, aber suchen Sie auch nach den kleinen Perlen, die es immer wieder gibt. Diese kleinen wundervollen Filme, die es auch wert sind, gefunden zu werden. Wenn man das macht, dann hat man dem Kino schon geholfen.
Das Interview führte Mischa Kreiskott.