Karen Duve © imago
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AUDIO: Karen Duve über Bauernproteste: "Wollen die Bevölkerung terrorisieren" (7 Min)

Karen Duve über Bauernproteste: "Wollen die Bevölkerung terrorisieren"

Stand: 10.01.2024 15:46 Uhr

Für Karen Duve haben die Themen Stadt und Land nicht nur biografisch immer eine besondere Rolle gespielt, sondern auch literarisch. Im Gespräch kritisiert die Schriftstellerin die Art und Weise der aktuellen Bauernproteste.

von Philipp Cavert

Bereits seit Montag demonstrieren die Bauern unter anderem dagegen, dass der sogenannte Agrardiesel und die Kfz-Steuerbefreiung für Landwirte gestrichen werden sollen. Die Ampelkoalition hat mittlerweile eingelenkt, verzichtet auf die geplante Streichung der Kfz-Steuerbegünstigung für die Landwirtschaft. Beim Agrardiesel kommen die Kürzungen schrittweise und später. Trotzdem halten die Landwirte an ihrer Protestwoche fest. 

Frau Duve, haben Sie Verständnis für diese Art von Protest?

Karen Duve: Nein. Selbstverständlich ist es legitim zu demonstrieren, auch für seine eigenen Interessen. Aber dafür zu demonstrieren, dass einem fossile Brennstoffe subventioniert werden sollen, nachdem man gerade Millionen dafür kassiert hat, weil man die Folgen der Klimaerwärmung, die man ja selbst hervorgerufen hat, nicht alleine tragen will, das ist schon ziemlich dreist.

Protestplakat der Bauern © Screenshot
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Sie leben selbst auf dem Land. Was bekommen Sie mit von den Höfen in Ihrer unmittelbaren Umgebung? Wie ist deren Lage und auch deren Gemütslage?

Duve: Ich sehe, dass hier überall diese kleinen Galgen hängen, mit Gummistiefeln und Kreuzen dran und wo vom Bauernsterben die Rede ist. Die sind schon sehr, sehr wütend - das waren sie aber schon immer. Jetzt zu glauben, dass sich da irgendetwas mit dem Bauernsterben bessert, wenn man genau so weitermacht wie in den letzten 50 Jahren, das halte ich für ziemlich blind. Allein in den letzten 17 Jahren sind 42 Prozent der Höfe eingegangen.

Sie selbst kennen aus eigener Anschauung beide Welten: Stadt- und Landleben. Das Verständnis füreinander ist da manchmal nicht allzu groß. Was macht dieser Bauernprotest mit der Beziehung?

Duve: Worüber ich mich am meisten erschreckt habe, waren diese Schilder, auf denen klar wird, dass es nicht nur um irgendein Argument geht, nicht um einen speziellen Fall, sondern um einen grundsätzlichen Hass gegen die Grünen, die gleichgesetzt werden mit der Ampel, aber auch mit Städtern. Es gibt Schilder, auf denen zum Beispiel steht: "Ist der Bauer ruiniert, wird euer Fressen importiert." Da steckt schon so ein Hass und so eine Verachtung für alle Menschen drin, die nicht Landbesitzer sind oder dem Bauernstand angehören.

Es gibt auch schon erste Gegenschilder, auf denen zum Beispiel William Butler Yeats zitiert wird: "Die Schönheit des bäuerlichen Denkens kommt aus einer vom künstlichen städtischen Denken unverdorbenen Ursprünglichkeit."

Duve: Ich sage: Die Schönheit des bäuerlichen Denkens erschöpft sich in der gerade gezogenen Ackerfurche und der Sorge, seinen Betrieb irgendwie effizient über die Runden zu kriegen.

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Was Sie andeuten, ist, dass das Problem wohl viel tiefer liegt. Es geht um mehr als Subventionen. Geht es darum, dass sich eine ganze Bevölkerungsgruppe gesellschaftlich abgehängt fühlt? Eine Gruppe, die uns letzten Endes alle versorgt?

Duve: Ja, da haben sie auch Recht. Das ist eine ganz existenzielle Aufgabe, die sie da erfüllen: die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln. Damit geht natürlich auch eine große Verantwortung einher - und der sind sie bisher nicht nachgekommen. Da sind sie erst mal in der Pflicht. Sie können nicht das Grundwasser zerstören, den Klimawandel vorantreiben, Tiere quälen - und gleichzeitig immer die Hände aufhalten und sagen: Jetzt subventioniert auch noch unser Fehlverhalten! Für die Landwirtschaft gilt: Nach dem Skandal ist vor dem Skandal. Da ist einiges zu verbessern, und diese ganzen Subventionen könnten auch ganz anders verteilt werden.

Ich glaube, dass die Bauern, die am Rande des Abgrunds entlangschleifen und zurecht große Ängste haben, bei der falschen Demonstration sind. Die demonstrieren im Grunde für Tönnies und seine ganzen Schlachtanlagen. Für diese riesengroßen Bauern, die so eine Art Jeff Bezos der Landwirtschaft werden wollen. Die vertreten überhaupt nicht ihre Interessen, sondern sorgen dafür, dass die Großen immer größer werden und die Subventionen auch so verteilt werden.

Der Zorn der Bauernschaft ist immer auch begleitet von dem Druckmittel, Nahrungsengpässe zu erzeugen. Das ist heute aber wesentlich komplexer zu bewerten, oder?

Duve: Vor allem sollte man nicht vergessen, dass die Trecker, mit denen die hier aufgefahren sind - von denen kosten die besseren und neueren um die 300.000 Euro. Da fahren nicht arme Leute auf. Da ist so eine riesige Wut und das hat auch einen ganz unangenehmen Beigeschmack. Eigentlich bedeutet Demonstrationsrecht: Man versammelt sich, man gibt seine Meinung zum besten - und dass dadurch der Verkehr beeinträchtigt wird, ist so ein Nebeneffekt. Hier aber ist es ganz klar so, dass sie die Bevölkerung auch terrorisieren wollen; es geht ein bisschen um Erpressung, dass hier die Bevölkerung in Geiselhaft genommen wird, nach dem Motto: Hier geht gar nichts mehr ohne uns. Hier wird versucht, im Grunde mit Gewalt irgendetwas durchzusetzen.

Bei uns hier in Brandenburg in Frankfurt/Oder gibt es zum Beispiel so einen kleinen Nebenweg, mit dem man sich nach Frankfurt/Oder noch hätte reinschleichen können - und der wird blockiert mit einem Misthaufen. Es geht also nicht darum: Wir sind in der Stadt, man kann uns sehen, und das tut uns leid, dass wir euch dabei behindern. Sondern es geht ums Behindern. Und das ist im Grunde auch kriminell.

Könnten Sie sich vorstellen, diese aktuelle Ereignisse auch literarisch zu verarbeiten?

Duve: Bücher sind ja immer furchtbar unaktuell, weil die immer so einen langen Vorlauf haben. Aber natürlich kommt das, was ich erlebt habe, was mir begegnet, immer auch in die Bücher mit rein.

Das Interview führte Philipp Cavert.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal Gespräch | 10.01.2024 | 17:30 Uhr

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Landwirtschaft

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